Mehr Körpergefühl für Arbeit Suchende

Weil Auswendiglernen keinen Erfolg garantiert, bereiten ein Schriftsteller und ein Schauspieler Osnabrücker Schüler auf Bewerbungsgespräche vor. Ob am Ende eine Festanstellung steht, muss sich erst noch zeigen, auf die Suche nach den eigenen Stärken machen sich die Jugendlichen trotzdem gerne

Haltung, Gang und Auftreten werden erprobt, und tatsächlich bezwingen die meisten „Bewerber“ ihre Nervosität

AUS OSNABRÜCK THORSTEN STEGEMANN

So ganz wohl in seiner Haut fühlt sich Arber noch nicht. Aber der Neuntklässler weiß genau, was er will. Er möchte Einzelhandelskaufmann werden, „denn dieser Beruf ist genau der richtige für mich“. Er habe nämlich nicht nur gern mit Menschen zu tun, sagt Arber. Sondern er kennt sich obendrein mit Bekleidungsfragen aller Art aus. Wer also wäre besser geeignet, potenzielle Kunden kompetent zu beraten? Der Herr im Anzug, der auf der anderen Seite des Tisches sitzt, nickt bedächtig. Das forsche Auftreten des Jungen gefällt ihm, nur mit der Trainingsjacke und den Turnschuhen, die Arber reaktionsschnell als neueste Errungenschaft der internationalen Modewelt anzupreisen versucht, damit hat er Schwierigkeiten. So kommt man besser nicht zum Vorstellungsgespräch. Und außerdem fehlen auf Arbers Bewerbung noch Unterschrift und Passbild.

Wie gut für den Bewerber, dass die ganze Szene nur gestellt ist. So kann Arber und mit ihm die gesamte 9 c der Osnabrücker Käthe-Kollwitz-Haupt- und Realschule noch etwas üben, bis der Ernstfall wirklich eintritt. Gelernt haben sie immerhin schon eine Menge, seit sie jeden Mittwochnachmittag an der Unterrichtseinheit „Bewerbungstraining mal anders“ teilnehmen. Denn hier geht es 90 Minuten lang um die Entdeckung der eigenen Stärken und kreativen Möglichkeiten – und gerade nicht darum, Stereotypen zu bedienen und die vermeintlichen Erwartungen künftiger Arbeitgeber zu erfüllen. Mit Rollenspielen, Schreibaufgaben und darstellerischen Übungen bereiten sich die Vierzehn- bis Fünfzehnjährigen so auf die ersten „echten“ Bewerbungsgespräche vor.

Die Idee zu dem Projekt stammt von dem Autor Jörg Ehrnsberger, der bundesweit Werkstätten zu verschiedenen Aspekten des Kreativen Schreibens leitet. „Bewerbungen sind ein komplexes Thema“, sagt der ausgebildete Gymnasiallehrer, „und mit auswendig Gelerntem kommt man heute nicht mehr weit. Wenn sich Bewerber und Arbeitgeber gegenübersitzen und mit Standardformeln aufeinander einreden, ist niemandem geholfen.“ Deshalb versucht Ehrnsberger, seinen Schülern die Schreibkompetenz zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen soll, ihre Wünsche und Vorstellungen glaubhaft darzustellen.

Parallel dazu entdeckt der Pantomime und Choreograph Manfred Pomorin mit den Schülerinnen und Schülern die vielen kaum vertraute Welt der Körpersprache. Haltung, Gang und Auftreten werden in Spielszenen erprobt, und tatsächlich bezwingen die meisten „Bewerber“ gleich beim ersten Härtetest ihre Nervosität und legen gegenüber dem vermeintlichen Arbeitgeber eine erstaunliche Selbstsicherheit an den Tag.

Die Käthe-Kollwitz-Schule bemüht sich bereits seit vielen Jahren darum, die Schüler auf den Berufsalltag vorzubereiten – wohl wissend, dass es für ihre Absolventen mitunter besonders schwierig ist, einen Ausbildungsplatz zu finden. Der stellvertretende Schulleiter Stefan Knoll, der auch die Organisation von Informationstagen, Praktika und Firmenbesichtigungen zu seinen Aufgaben zählt, sieht in „Bewerbungstraining mal anders“ eine besonders gute Chance, den Erwerb von Basiskompetenzen mit Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstdarstellung zu verknüpfen. Weil hier zwei Künstler und eben keine Scouts oder Headhunter das Bewerbungstraining leiten, sagt er, könnten die Schüler verschiedene Möglichkeiten ausprobieren und sich spielerisch und ungehemmt zu den eigenen Interessen und Präsentationsformen vorarbeiten.

Ob das Engagement der Projektleiter, Lehrer und Schüler letztlich zum gewünschten Erfolg – sprich: einer Anstellung – führt, muss sich erst noch zeigen. Schulsozialarbeiter Jürgen Bosse hat aber bereits jetzt einige positive Veränderungen festgestellt: „Die meisten Schüler waren von dem Angebot begeistert, und das will etwas heißen, denn es findet ja in den schwierigen Nachmittagsstunden statt. Viele sind nach diesem halben Jahr selbstsicherer, freier und offener geworden und haben sich auch sprachlich deutlich verbessert.“

Die Neuntklässler sehen das genauso, auch wenn sich einige erst an die Übungen gewöhnen mussten. „Wir haben am Anfang gelernt, aus uns herauszugehen, aber einige waren sowieso schon total extrovertiert“, sagt Teilnehmerin Katrin. „Mit der Zeit hat sich das aber ganz gut eingespielt.“

„Bewerbungstraining mal anders“ wurde zeitgleich im Osnabrücker Stadtteil Rosenplatz durchgeführt, der gerade Gegenstand eines umfangreichen Sanierungsverfahrens „Soziale Stadt“ ist. Am Rosenplatz leben 7.700 Menschen aus 72 Ländern, und auch hier stieß das Angebot auf großes Interesse. Mittlerweile liegen Initiator Jörg Ehrnsberger Anfragen von mehreren Schulen und Bildungseinrichtungen vor. Über eine Fortsetzung des Projektes – und seine mögliche Ausdehnung – soll in den nächsten Wochen entschieden werden.

www.bewerbung-mal-anders.de, www.osnabrueck.de/13439.asp