Widerständler und Rebellen

MENSCHENRECHT Das diesjährige One World Berlin Festival bringt die verschiedenen Spielarten von Verfolgung und Revolte auf die Leinwand

„Normalization“ widmet sich den dunklen Jahren der CSSR nach 1968

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Vor ein paar Jahren hat WikiLeaks mit den Irakkrieg-Enthüllungen von Manning den Begriff des Whistleblowers auch bei uns bekannt gemacht. Dann kam Edward Snowden, dessen erstaunlich unpathetische Entschlossenheit Laura Poitras’ „Citizen Four“ sichtbar macht. Ähnlich in ihrer praktischen Gesinnung waren die acht jungen Männer und Frauen, die Regisseurin Johanna Hamilton in ihrem von Poitras koproduzierten Dokumentarfilm „1971“ vorstellt – dem Jahr, in dem Daniel Ellsbergs Veröffentlichung der Pentagon-Papiere die Geschichte des Vietnamkriegs neu schrieb. Doch ein halbes Jahr zuvor hatte – heute eher vergessen – schon ein anderes Zwangsouting für Aufsehen gesorgt. Aus Sorge über die zunehmende Präsenz von Provokateuren aus J. E. Hoovers Truppe in den Reihen der Antikriegsbewegung nämlich brach am 8. März des Jahres eine Gruppe US-Bürger nach minutiöser Vorbereitung in ein Büro des FBI bei Philadelphia ein und transportierte sämtliche Akten zur Sichtung ab.

Deren Ergebnisse übertrafen alle Befürchtungen. Denn der Dienst widmete den größten Teil seiner Energie statt der Verbrechensbekämpfung der Unterwanderung dissidenter politischer Kräfte bis zu Pfadfindern, die es gewagt hatten, mit osteuropäischen Scouts Kontakt aufzunehmen. Antikriegs-, Bürgerrechts- und Frauengruppen waren in großem Stil von Agenten infiltriert und manipuliert. Kopien des kompromittierenden Materials wurden, wie von Snowden, auch von den „Citizens’ Commission to Investigate the FBI“ an die großen Zeitungen der USA geschickt. Von denen traute sich zuerst nur die Washington Post an die Veröffentlichung. Doch dann ging eine Lawine los, die 1975 mit den Church Comittee Hearings als erste Kongress-Befragung zum Geheimdienst kulminierte und das Counterinsurgency-Projekt „Cointelpro“ einer größeren Öffentlichkeit bekannt machte.

Hamiltons Film erzählt davon in einer breiten Palette an Stilmitteln (samt der wohl unvermeidlichen Musikbeschallung), von Interviews mit fünf der damals Beteiligten bis zum Reenactment zentraler Ereignisse. Besonders schön Archivszenen, in denen die mehrheitlich links eingestellten Bewohner des Stadtteils Philadelphia-Powelton die in Hundertschaften zu Fahndungszwecken eingeschleusten und schlecht als Hippies verkleideten Undercover-Polizisten veräppeln. Und wie alles hat auch die FBI-Aktion ihre zwei Seiten: Wohl keine Dienststelle wäre heute noch so naiv, ihre verdeckten Operationen unverschlüsselt zu dokumentieren.

Gezeigt wird der lehrreiche Film zur Eröffnung des diesjährigen One World Berlin, das unter dem Titel „Whistleblower und Rebellen“ in vier dokumentarischen Filmprogrammen Spielarten von Verfolgung und Widerstand auf die Leinwand bringt. Dabei widmen sich „Normalization“ von Robert Kirchhoff und „Magic Voice of a Rebel“ von Olga Sommerová pünktlich zum Jahrestag der Samtenen Revolution den dunklen Jahren der CSSR nach dem Aufbruch von 1968. Ersterer anhand eines bis heute nicht aufgeklärten Verbrechens. Der zweite an der Figur der Sängerin Marta Kubicová, die 1968 mit einem Lied zum Symbol des Widerstands wurde und auf das folgende Auftrittsverbot statt mit Emigration mit verstärktem politischem Aktivismus bei Charta 77 reagierte.

Alina Rudnitskaya montiert in ihrem halbstündigen Dokumentarfilm „Victory Day“ Interviews mit russischen Schwulen und Lesben in beengt kuscheligem Home-Movie-Setting gegen die militarisierte Feierstimmung auf der Straße. Warum die Filmemacherin ihre ProtagonistInnen teilweise extrem unvorteilhaft vor der Kamera inszeniert, lässt sich beim anschließenden Q&A über Skype erfahren. Persönlich anwesend sind unter anderem Regisseur Riccardo Valsecchi und Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt bei dem Kurzfilm „ID Without Colors“ zum Thema Racial Profiling in Deutschland. Ein wichtiges und spannendes Thema, dem der Film leider durch begriffliche Unschärfen und fehlende filmästhetische Selbstreflexion kaum gerecht wird. Ein mittelmäßiger Image-Film wird eben auch durch einen guten Menschenrechtszweck kein gelungener Dokumentarfilm.

■ One World Berlin Filmfestival: 20.–23. 11., Kino Arsenal und Tschechisches Zentrum Berlin, www.oneworld-berlin.de