Der Künstler als Bandit

JUNGE KUNST Jedes Jahr präsentieren die Studierenden auf dem Rundgang der UdK ihre Arbeiten. Sie zeigen ihre Unabhängigkeit, aber auch, dass der Künstler nur noch die Spitze eines Eisbergs namens Massenboheme ist

Wo in der Welt der cleanen Konzeptkunst sieht man noch so farbverspritzte Ateliers wie beim UdK-Rundgang? So malerisch drapierte Inspirationsecken aus Müll und Ready-Mades?

VON INGO AREND

Als der junge John Hamilton Mortimer in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Kunstakademie verließ, hatte er eine Idee. Um sich auf dem Londoner Kunstmarkt als Maler zu positionieren, verfiel er auf das, was man heute Branding nennt. Er stilisierte sich nicht nur zum Verbrecher, er lebte auch so. Bandito – mit dem Selbstporträt aus dem Jahr 1782, auf dem er sich verwegen einen Schal um den Kopf schlang, war ein Mythos geboren.

Zur kriminellen Boheme muss heute kein Künstler mehr Zuflucht nehmen, wenn er die Hochschule verlässt. Stipendien pflastern seinen Weg zum Artist-in-residence. Trotzdem gibt er sich gern als Outlaw. Auf dem traditionellen Hoffest zum Auftakt des alljährlichen Rundgangs an der Universität der Künste (UdK) vergangenes Wochenende am Steinplatz wimmelte es jedenfalls nur so von vollbärtigen jungen Männern, die dem Mortimer’schen Role Model verdächtig ähnelten. Ein Alleinstellungsmerkmal ist ihre androgyne Verwegenheit aber nicht, wie jede Nacht im Berliner Nachtleben belegt. Heute fungiert der Künstler gerade noch als die sichtbarste Spitze eines Eisbergs namens Massenboheme.

Ein frühreifes Denkmal

Auch die ästhetische Produktion des künstlerischen Nachwuchses spricht gegen die Wiederkehr des Künstlers als gesetzlosen Rebellen. Mag er auch von denen im Kongo oder in Gaza fasziniert sein wie Henri Haake. Der 22-jährige Lübecker, der gerade sein Grundstudium an der UdK beendet hat, setzt in seinen Ölbildern den Aufbegehrenden dieser Welt ein bemerkenswert frühreifes Denkmal. Bei aller engagierten Zeitgenossenschaft verbirgt es doch seine Anleihen bei der französischen Historienmalerei nicht.

Vielmehr scheint das Ende des Studiums ein peinigendes Trauma zu sein. Zur Vorbereitung auf ihre Abschlussausstellung hat Johanna Jäger, Spezialistin für die Verwandlung des dreidimensionalen Raums in das zweidimensionale Bild, in einem quälenden Prozess ihren beengten Arbeitsplatz zu Hause vermessen: Lange muss sich als Meisterschülerin krümmen, wer einmal eine Künstlerin werden will.

Die Kehrseite der Banditen-Physiognomie des zeitgenössischen Jungkünstlers ist sein ästhetisches Gutmenschentum – im besten Sinne, versteht sich. Und das neu grassierende Interesse an sozialer Plastik. Ob man das Kunstwerk „No Nukes Posters“ nimmt, mit dem der Meisterschüler Kan Yamamoto zu einem Kunstwettbewerb aufruft. Ob man das Kong Toey Slum Project nimmt, bei dem Architekturstudenten in Bangkok einen sozialen Treffpunkt in Form eines begehbaren Holzgerüsts installieren wollen. Selbst der Raum, den Schüler von Olafur Eliassons „Institut für Raumexperimente“ in eine Art temporäre Kunst-WG verwandelten, in dem Studenten, Künstler und Besucher essen, Filme schauen, ein Omelett backen oder eine Kissenschlacht veranstalten konnten, verrät ein neues Interesse an den gemeinschaftsbildenden Effekten von Kunst.

Im Gegensatz zur „Kunststadt“ Berlin mit ihrer frei flottierenden Kreativität von 6.000 Künstlern in freier Wildbahn ist die Kunsthochschule eine Anstalt zur Kanalisierung dieser ominösen Produktivkraft. Sie hütet die mythischen Accessoires des Kunstsystems samt anachronistischer Produktionsästhetik wie ein Heimatmuseum. Wo in der Welt der cleanen Konzeptkunst sieht man noch so wunderbar farbverspritzte Ateliers wie beim UdK-Rundgang? So malerisch drapierte Inspirationsecken aus Müll und Ready-Mades? So wenig Videorecorder?

Wo sind die Stutzer hin?

Sieht man einmal von den weißen Keramikpilzen ab, die eine Schülerin der ähnlich arbeitenden Professorin Leiko Ikemura feilbot. Immerhin begegnen einem in dieser Welt von gestern immer weniger die Klone ihrer professoralen Überichs. Legendär einst die Rundgänge an dem Düsseldorfer Pendant zur UdK. Die juvenilen Stutzer, die ihren Herrn und Meister Markus Lüpertz vom Goldring bis zu den Gamaschen kopierten, konnte man schon von Weitem am Zigarrengeruch erkennen.

Mag die zinnenbewehrte Trutzburg der UdK auch das Gegenteil suggerieren. Man findet darin so zeitgemäße Talente wie Marie Strauß, die einem scheinbar auslaufenden Genre wie der Skulptur etwas Neues abzugewinnen versteht. Einen zwei Tonnen schweren Block aus Jurakalk hat sie in eine faszinierende Dialektik aus Schwerelosigkeit und Schwere transformiert. Und Samuel Fath und Christoph Medicus suchen nach dem sich verändernden Kunstwerk. Ihre Installation war an einem Tag eine Art Statue mit Dornenkrone aus Holz, am anderen eine Sauna mit Sonnensegel. „Die Arbeit hat keinen Titel“ wehren sie alle Bitten um Erklärungshilfen ab. Und grinsen wie Banditen, die gerade dabei sind, einem ins Unfassbare zu entführen.