stefan tommek, sänger von kensington road
: So klingt die Stadt
„Durch CD-Verkäufe verdient man nichts mehr“

Mehr als 600 Bands treten heute bei der Fête de la Musique auf – umsonst und draußen. Doch wie lebt man als Musiker in Berlin, welche Chancen und Schwierigkeiten gibt es? Die taz fragte nach

Zur Sommer-Sonnenwende, der kürzesten Nacht des Jahres, verwandeln Musiker Berlin heute in eine große Open-Air-Bühne. Rund 600 Bands, Ensembles, Solisten und DJs treten bei der Fête de la Musique auf. Die Spanne reicht von Klezmer, Tango und Weltmusik bis zu Chanson, Punk und Britpop. Die Fête de la Musique wurde 1982 vom damaligen französischen Kulturminister Jack Lang in Paris initiiert. Mittlerweile wird die Party weltweit in 340 Städten gefeiert. Programm unter www.fetedelamusique.de

„Unsere Musik ist eher zeitlos. Im Grunde machen wird das, was Gitarren-Popmusik schon seit 50 Jahren ausmacht: Singer-Songwritermusik – auf unsere Art.

Wir sind jetzt auch keine Newcomer mehr. Uns gibt es seit zwölf Jahren, in der jetzigen Besetzung spielen wir seit vier Jahren. Wir standen immer kurz vor dem Durchbruch – haben es aber nie ganz geschafft. Wir waren auch nie so richtig im Trend.

Wenn man älter wird und nicht mehr Anfang 20 ist, dann fragt man sich: Warum mach’ ich Musik? Wenn man es wirklich von Herzen macht, kommt man an den Punkt: Ich mach’s, um mit meinen Freunden zusammen zu sein; um in den Proberaum zu gehen und zu sehen, wie sich andere in meine Songs reinknien. Das empfinde ich als Geschenk, dass Leute sich mit mir und meiner Musik auseinandersetzen.

Von der Band zu leben, ist im Moment total schwer. Durch CD-Verkäufe verdient man praktisch nichts mehr. Oder nur so marginal – davon kann man fünf Leute nicht durchbringen. Unser Keyboarder und der Bassist können von Musik leben: Sie haben noch andere Projekte und geben Musikunterricht.

Wenn wir Leerlauf haben, dann ist es vorbei. Wir touren zwar durch Deutschland, Österreich und vielleicht Ungarn, aber irgendwann hat man alles abgegrast. Dann sitzt man rum und fragt sich: Was mach’ ich jetzt mit meiner Zeit? Seine Gitarre kann man irgendwann auch nicht mehr sehen, dann ist es ganz gut zu arbeiten, nebenbei.

Grundsätzlich wird die Musikszene in Berlin immer vielfältiger, aber so eine richtige Veränderung kann ich nicht feststellen. Viele lösen sich auf und tauchen dann unter anderem Namen wieder auf – teilweise erfolgreich, teilweise überhaupt nicht erfolgreich. Es läuft eher zyklisch. Ich weiß gar nicht, ob das eine Berlin-typische Sache ist. Es ist eher eine generelle Entwicklung: Jeder kann mittlerweile im Keller mit seinem Computer Musik machen und hat natürlich auch den Drang, das Ganze nach außen zu tragen. Es wird immer mehr und total unüberschaubar.“ PROTOKOLL:
CATALIN GAGIU

Kensington Road sind: Stefan Tommek (Vocals, Gitarre), Daniel Vogel (Keyboard), Andreas Dobos (Bass) und Felix Kruse (Drums). Sie spielen um 22 Uhr im Golgatha (Viktoriapark)

torsten dohm, bassist von she-male trouble
„Es gibt eine wahre Flut von Bands in Berlin“

„She-male Trouble gibt es seit sieben Jahren, in der aktuellen Besetzung spielen wir seit 2003. Wir sind eine Punk-Rock-Band mit einer extrem großen Liebe zu Rock ’n’ Roll und hartem Rock – und das vermischt sich dann.

Die Liste unserer musikalischen Einflüsse ist endlos, da bringt jeder von uns seine eigene musikalische Sozialisation mit ein. André und ich waren früher beide Fans von Excel und Leeway und so. Das war etwa zu der Zeit, als sich der Hardcore aus dem Punkrock entwickelte, aber noch vor Metalcore. Cromags und die Bad Brains waren auch sehr wichtig. Carola kommt mehr vom englischen Punkrock her, sie steht zum Beispiel total auf Clash, The Damned und X-Ray Sex. Letztendlich versuchen wir nicht, irgendetwas zu imitieren – aber natürlich spielt alles, was du gut findest, auch in deine Musik rein.

Früher kamen einige bekannte Bands aus Berlin, zum Beispiel Die Ärzte und Jingo De Lunch. Nachdem es die nicht mehr gab, war eine Weile richtig tote Hose hier. Das hat sich erst geändert, als Bands wie Seeed oder die Beatsteaks kamen – mittlerweile hat Berlin musikalisch wieder ein großes Ansehen gewonnen. Das macht es allerdings auch schwierig, sich in der Stadt musikalisch zu behaupten. Es gibt eine wahre Flut von Bands und viele verschiedene Musikszenen, die sich oft kaum gegenseitig berühren.

Den Schritt ins Licht zu schaffen, sodass man auch von mehr Leuten als den eigenen 26 Kumpels wahrgenommen wird, dafür muss man schon hart arbeiten. Aber wer ernst zu nehmend Musik macht, der schafft das auch.

Auf die Fête de la Musique freuen wir uns, weil es ein riesiges Straßenfest ist, das völlig im Zeichen der Musik steht. Das ist nicht wie sonst bei Straßenfesten, wo am Rand eine Bühne steht, auf der nebenbei noch jemand Punkrock spielt. Auch wenn wir uns seit der letzten Platte musikalisch eigentlich nichts mehr vornehmen, einen Vorsatz haben wir auf jeden Fall: Wenn wir auf eine Bühne steigen, wollen wir gut sein!“ PROTOKOLL: JENS GRÄBER

She-male Trouble sind: Carola Hartley (Gesang), André Zeitz, Volker Vorndanne (Gitarre), Nico Schaffran (Schlagzeug), Torsten Dohm (Bass). Sie spielen in der Revaler Straße um 21 Uhr

geffen miron, sängerin von geffen3
„Proberäume sind sehr knapp“

„Meine Musik würde ich als Elektropop beschreiben – sie ist gleichzeitig emotional und groovy. Die Songs sind also nicht nur zum Tanzen oder fürs Herz, sondern beides. Ich selbst mag ganz verschiedene Sachen: von den Sugababes bis zu den Sugarcubes. Was mich glücklich macht, ist gut. So gibt es auch sehr viele Einflüsse auf meine eigene Musik. Für meine neue CD habe ich gerade ein Stück mit Mandolinen aufgenommen, zusammen mit der Band Kapajkos. Ich mache schon seit 15 Jahren Musik, seit acht Jahren lebe ich in Berlin.

Als ich hierherkam, dominierte die Techno-Musik. Es gab nicht so viel Rock, mehr elektronische Musik – alles war sehr cool. Weniger Bands, mehr DJs. Das hat sich inzwischen geändert, es ist echt verrückt geworden. Es gibt unglaublich viele Bands und verschiedene Arten von Musik. Das Leben als Musiker ist hier aber immer noch sehr hart. Ich habe gerade erst nach langer Suche wieder einen Proberaum gefunden, sogar im obersten Stockwerk meines Hauses. Aber die Nachfrage ist so groß, dass man sich die Räume oft mit anderen Bands teilen muss.

In den nächsten fünf Jahren habe ich vor, mehr auf Tournee zu gehen und auch öfter außerhalb von Berlin aufzutreten. In Berlin bin ich schon so oft aufgetreten, da ist es manchmal schön, irgendwo anders hinzufahren und etwas Neues zu sehen. Bei der Fête de la Musique treffe ich immer viele befreundete Künstler, für mich persönlich ist das auf jeden Fall ein schönes Fest.“

PROTOKOLL: JENS GRÄBER

Geffen3 ist ein Projekt von Geffen Miron – bei ihren Auftritten wird sie von wechselnden Musikern unterstützt. Geffen3 spielt in der Skalitzer Straße um 18.30 Uhr

antje krüger, geigerin bei que tangazo
„Die Leute geizen beim Eintritt“

„Man sagt, dass Berlin eine der größten Tangostädte der Welt ist. Es gibt hier auch sehr viele Milongas, traditionelle Tangoveranstaltungen. Das Interesse am Tango ist auf jeden Fall da. Unsere Musik ist Tango in seiner ursprünglichen Form. So, wie er in den 30er- und 40er-Jahren in den Milongas schon gespielt wurde: Wir spielen nah am Publikum, unverstärkt, holen uns die Energie von den Tänzern und geben sie zurück.

Für unsere Musik müssen wir extrem viel proben. Man steckt sehr viel Leidenschaft und Energie in ein solches Projekt, ohne einen finanziellen Gewinn zu haben. Gerade am Anfang war es nicht einfach. In Berlin – vielleicht auch deutschlandweit – gibt es ein grundlegendes Problem: Die ‚Geiz ist geil‘-Kultur greift leider um sich. Die Leute geben eher Geld für einen Döner aus, als 6 bis 7 Euro Eintritt für ein Live-Konzert zu zahlen. Dieser Geiz ist auch in der Tangoszene sehr ausgeprägt. Kein Veranstalter – und auch keine Band – kann es sich leisten, für so wenig Eintritt zu spielen. Es ist eigentlich traurig, denn es gibt ein sehr breites Angebot von wirklich guten Veranstaltungen hier in Berlin. Das wird wie selbstverständlich hingenommen, ohne nach der Realität hinter den Kulissen zu fragen. Viele Musiker müssen einen Haufen Nebenjobs annehmen. Auch die Kulturhäuser werden weniger gefördert, was sich auf die Bands auswirkt.

Auf die Fête freuen wir uns sehr. Wir treten als Quintett auf: zwei Geigen, ein Bandoneón, Klavier und Bass. Tango auf einer Open-Air-Bühne ist auch für uns eine neue Erfahrung. Da sind wir sehr gespannt drauf.“ PROTOKOLL:
CATALIN GAGIU

Que Tangazo besteht aus: Antje Krüger, Juliane Rahloff (Violinen), Judith Brandenburg, Guillermo Destaillats (Bandoneón), Javier Tucat Moreno (Piano), Malys Im (Kontrabass). Que Tangazo tritt um 20 Uhr auf der Osthafen-Tangobühne auf

christophe bourdoiseau, sänger von par ici
„Berlin ist gut für kreative Musiker“

„Wir spielen klassische französische Chansons. Unser Programm ist eine Reise durch die französischen Chansons der letzten Jahrzehnte: Es fängt im Jahr 1945 an mit Liedern von Lucienne Delyle und geht bis in die 80er-Jahre mit Les Négresses Vertes.

Ich bin musikalisch auch stark beeinflusst worden von Jacques Brel und Georges Brassens. Als „Par Ici“ machen wir seit drei Jahren zusammen Musik. Seit ich ein Kind bin, habe ich für mich selbst Musik gemacht, aber vor drei Jahren habe ich die Berliner Musikszene entdeckt und mich entschlossen, mit Profimusikern zusammenzuspielen.

Musik in Berlin zu machen, ist toll. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, das Publikum ist sehr zugänglich und sehr nett. Es motiviert uns, weiterzumachen. Aber Geld damit zu verdienen, ist sehr schwierig. Dazu müssen Profimusiker viel verreisen, nach Leipzig, Sachsen oder in den Westen – dort kann man besser Geld verdienen als in Berlin. Die Stadt ist sehr gut für kreative Musiker, aber um Geld zu verdienen, muss man Berlin verlassen.

Ich würde in den nächsten Jahren auch gern ein wenig Geld mit meiner Musik verdienen – deswegen habe ich jetzt angefangen zu komponieren. Vor kurzem bin ich zum ersten Mal mit eigenen Kompositionen aufgetreten, die Reaktionen waren positiv.

Um bekannt zu werden, muss man ohne Ende Konzerte geben. Wir haben Glück, weil wir französische Chansons spielen. Das ist eine Nische, da gibt es nicht so viele. Trotzdem arbeiten wir noch daran, uns einen Namen zu machen – ich dachte, es ginge schneller. Und es ist verdammt viel Arbeit. Ich denke, in dieser Hinsicht bringt uns auch der Auftritt bei der Fête de la Musique etwas.“ PROTOKOLL: JENS GRÄBER

Par Ici sind: Christophe Bourdoiseau (Gesang, Gitarre), Sirid Heuts (Akkordeon) und Andreas Hirtler (Kontrabass, Tuba). Sie treten um 18 Uhr am Savignyplatz auf

willie ocean, sänger von the special guests
„Man muss Leidenschaft haben“

„Wir machen modernen traditional Ska: echten Ska, jamaikanischer Prägung – keinen Ska-Punk. Wir setzen nicht auf verzerrte Gitarren, sondern auf schöne Bläsersätze und Gesang – schöne Melodien, schönes Songwriting. Und das seit 13 Jahren.

Im Alltag, sieht jeder von uns zu, dass er sich ein bisschen Geld dazuverdient. Im Grunde haben wir alle Jobs – ehrliche Berufe, um unser Geld zu verdienen. Von der Band allein kann keiner von uns leben. Für unsere Auftritte werden wir zwar bezahlt, doch das reicht nicht. Wir sind ja auch bei keinem Majorlabel, das sich um alles kümmert. Unser Labelchef spielt selbst in der Band. Aber wir verdienen schon so viel, dass wir – im Vergleich zu anderen Bands – auf dicke Hose machen: Wir haben beispielsweise kein Problem damit, Plattenpressungen allein durchzuziehen. Ab und zu können wir uns auch ein bisschen Promotion leisten, eine DVD oder ein Video in Eigenregie produzieren – natürlich alles low budget. In die eigene Tasche geht nichts. Es ist alles selbsttragend.

In Berlin gibt es für Bands – auch für Unbekannte – nach wie vor viele Möglichkeiten. Es gibt extrem viele Locations; jeden Tag finden hunderte Konzerte und Veranstaltungen statt. Das ist toll. Geld wird einem aber nicht hinterhergeworfen. Man muss schon Leidenschaft mitbringen und natürlich Skillz haben. Das ist das Wichtigste. Bei der Fête de la Musique haben viele die Möglichkeit, sich mal darzustellen. Vielleicht auch auf Wegen, die eher unkonventionell sind.“

PROTOKOLL: CATALIN GAGIU

The Special Guests feat. Willie Ocean (Gesang) sind: David Ackermann (Tenor Sax), Lukas Leonhardt (Drums), Marko Felgenhauer (Trompete), Christoph Becker (Guitarre), Sebastian Blottner (Piano), Daniel Sauerborn (Alt Saxophon), Florian Brückner (Bass) und Hans-Henning Raven (Posaune). Um 19.30 Uhr treten sie am Zionskirchplatz auf. Ab 21 Uhr sind sie in der Jägerklause (Friedrichshain).