In Plastiktüten verpackt, in den Fluss geworfen

PROTESTE Was genau geschah mit den 43 verschwundenen Lehrerstudenten? Schuldige werden präsentiert, Verantwortliche festgenommen. Aber die Hintergründe bleiben im Dunkeln

Der Bürgermeister soll den Polizeieinsatz befohlen haben, bei dem die 43 Studenten verschwanden

VON WOLF-DIETER VOGEL

BERLIN taz | Autobrandstiftungen, Demonstrationen, Steinwürfe – wieder sind am Wochenende Tausende von Studenten und andere Oppositionelle in Mexiko auf die Straße gegangen und haben Aufklärung über das Verschwinden mehrerer Dutzend Studenten eingeklagt. Im Zentrum von Mexiko-Stadt legten sie Feuer am Nationalpalast; in Chilpancingo, der rund 200 Kilometer südlicher gelegenen Hauptstadt des Bundesstaats Guerrero, stürmen sie den Parkplatz des Regierungsgebäudes und setzen zehn Fahrzeuge in Brand.

Immer lauter wird inzwischen die Forderung, Präsident Enrique Peña Nieto müsse zurücktreten. Und: „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“, rufen die Demonstranten.

Am Freitag hatte Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam drei mutmaßlich Schuldige vorgeführt, die am Mord der Studenten der pädagogischen Fachschule Ayotzinapa direkt beteiligt gewesen sein sollen. Auf einer Pressekonferenz zeigte er Videos, in denen die Männer, Mitglieder der Verbrecherbande Guerreros Unidos (Vereinigte Krieger), die Tat gestehen: Demnach haben sie die in der Nacht zum 26. September in der Stadt Iguala in Guerrero verschwundenen 43 Lehrerstudenten getötet, verbrannt, die Asche in Plastiktüten verpackt und dann in einen Fluss geworfen.

„Sie haben nicht nur die bekleideten Leichen verbrannt, sondern auch die Bekleidung der Handlanger“, erklärte der Generalstaatsanwalt. Die Studenten seien gestorben, nachdem Polizisten sie festgenommen, dann aber den Vereinigten Kriegern übergeben hatten. Die hätten die Studenten erschossen, Holz auf die Leichen gestapelt und sie mit Benzin übergossen.

Insgesamt sind mittlerweile 74 Personen verhaftet worden.

Die Nachricht von dem Massaker sei „mit viel Schmerz, aber auch mit viel Wut und Hass“ aufgenommen worden, sagt der Leiter des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, Abel Barrera. Allerdings wollten die Angehörigen daran glauben, dass die jungen Männer noch am Leben seien, solange ein argentinisches Forensikerteam nicht das Gegenteil bestätigt.

Die Argentinier waren auf Drängen der Angehörigen in die Ermittlungen eingebunden worden, weil die Väter, Mütter und Geschwister der Verschwundenen den einheimischen Strafverfolgern nicht vertrauen. Ob Zähne, die von den Ermittlern gefunden wurden, den Opfern zuzuordnen sind, sollen nun DNA-Analysen der Universität Innsbruck klären.

Die Angehörigen bleiben skeptisch, auch wenn der Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca Velásquez, und dessen Frau María de los Angeles inzwischen festgenommen worden sind. Der Bürgermeister soll den Befehl zu dem Polizeieinsatz gegeben haben, bei dem sechs Menschen erschossen wurden und die 43 Studenten verschwanden. Der Generalstaatsanwalt habe „zu spät“ mit seinen Ermittlungen begonnen, kritisierte Erica Guevera Rosas, die Leiterin der Amerika-Abteilung von Amnesty International.

Die jungen Lehramtsanwärter könnten womöglich noch leben, wenn man schon früher gegen den Bürgermeister erhobene Vorwürfe ernst genommen hätte. Denn der soll auch für die Entführung von sechs Oppositionellen 2013 verantwortlich sein. Drei Menschen starben damals, einen von ihnen soll der Bürgermeister selbst ermordet haben.

Die Ermittlungen verliefen damals jedoch im Sand. Zudem war der mexikanische Geheimdienst Cisen darüber informiert, dass die Gattin des Bürgermeisters die örtliche Gruppe der Guerreros Unidos leitete.

Der Gouverneur des Bundesstaates, Aguirré Agulia, hat angesichts der Protestes sein Amt bereits auf Eis gelegt. Aber auch Präsident Peña Nieto gerät zunehmend unter Druck. „Wenn Sie nicht fähig sind, uns eine Antwort zu geben, müssen Sie über dieselben Konsequenzen nachdenken, wie sie der Gouverneur von Guerrero gezogen hat“, sagte der Sprecher der Angehörigen, Felipe de la Cruz Sandoval. Auch international wächst die Kritik. Aus Solidarität mit den Opfern haben weltweit renommierte Intellektuelle wie Michael Hardt, Eduardo Galeano und Saskia Sassen einen „Offenen Brief an die Zivilgesellschaft“ verfasst.

Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko hat die Bundesregierung aufgefordert, von der Umsetzung eines 2011 vereinbarten Polizeiabkommens mit dem Land abzusehen. Im Rahmen der Vereinbarung sollen u. a. Bundespolizisten von deutschen Beamten ausgebildet werden. Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass nur lokale Polizisten in solche Verbrechen involviert seien, schreibt die Organisation in einer Onlinepetition. Auch Bundesbeamte seien für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.