Geniekult und Vereinsmeierei

Rückblicke auf die wilhelminische Eventkultur: Zwei Ausstellungen präsentieren die Geschichte des Vereins Berliner Künstler seit 1841

Der hektische Aktivismus des Kunstmarkts ließ den professionellen Beobachter aufstöhnen: „Jahr für Jahr kam die große Flut, immer trostloser, immer ermattender.“ Überall dominiere das schnelllebige Sensationsbild, immer mehr würde der Künstler zum Sklaven des „Schaupöbels“. Diese Zustandsbeschreibung gilt nicht etwa der heutigen Ware Kunst, globalisiert zwischen Art Cologne, Art Basel und Art Basel Miami Beach. Vielmehr stammen die Zitate vom Kunstkritiker Benno Becker, der sich 1896 seinen Frust von der Seele schrieb. Tatsächlich hatten die bildenden Künste in den Jahrzehnten zuvor in Deutschland enorm an Bedeutung gewonnen. Das bürgerliche Zeitalter dürstete ebenso nach Repräsentationskultur wie einst Fürstenhäuser und heute Konzernerben.

Zwei kleine Ausstellungen widmen sich nun der Geschichte einer bis heute existierenden Künstlerinstitution, die maßgeblich an diesem Aufschwung Ende des 19. Jahrhunderts beteiligt war: dem Verein Berliner Künstler. „Von jetzt ab jeden Dienstag eine Versammlung zu halten“, so lautete der Beschluss nach einer ersten Zusammenkunft von Malern, Grafikern und Bildhauern im Atelier des Malers Rosenfelder am 19. Mai 1841. Rasch wurde der Verein zur Interessenvertretung, Standesorganisation, Propagandamaschine, diente aber mit seiner Unterstützungskasse auch der sozialen Absicherung seiner Mitglieder. Das Archiv-Kabinett der Akademie der Künste am Pariser Platz zeigt eine kulturhistorisch reizvolle Auswahl von Fotografien und schriftlichen Zeugnissen, die den öffentlichen Aufstieg des Vereins widerspiegeln.

Max Liebermann und Adolph von Menzel gehörten ihm an; Anton von Werner war langjähriger einflussreicher Vorsitzender. Modern war der Verein in seiner Resonanzerzeugung, in einer Art wilhelminischer Eventkultur: 1886 wurde im Ausstellungspark am Lehrter Bahnhof ein rauschendes „Pergamonfest“ mit 1.300 kostümierten Mitwirkenden gefeiert. Im Mai 1891 verkleidete man sich frühmittelalterlich im Stil Karls des Großen; Anlass war die große internationale Schau zum 50-jährigen Jubiläum des Vereins, die immense 4.702 Werke präsentierte. Konservativ war man in Kunstfragen: Die Ausstellung Edvard Munchs im Gebäude des Vereins wurde 1892 nach kurzer Zeit abgebrochen, nachdem Vereinsmitglieder protestiert hatten. Die Moderne sammelte sich alsbald in der „Berliner Sezession“. Nach 1933 wurde der Verein rasch gleichgeschaltet. Seit kurzem erinnert eine Gedenktafel an Carl Langhammer, der damals als Vereinsvorsitzender für die Beibehaltung der Ehrenmitgliedschaft Max Liebermanns sowie den Erhalt der Gedenktafel eintrat, auf der auch die jüdischen Stifter des Vereins verzeichnet waren. 1935 wurde er deshalb von den Nationalsozialisten entlassen.

Eine kleine Auswahl aus den 3.000 Werken, die sich im Archiv des Vereins Berliner Künstler befinden, dokumentiert in der Vereinsgalerie am Schöneberger Ufer seine wechselhafte künstlerische Rolle seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Avantgarde hatte hier selten eine Heimstatt. Der konservative Altherrenclub (erst seit 1990 werden Frauen aufgenommen!) war auch nach 1945 ein Refugium gegenständlicher Malerei angesichts der dominierenden abstrakten Moderne. Heute pflegen die Mitglieder hingegen Stilpluralismus; der historische Rückblick in dieser Schau fällt dementsprechend gelassen-ungeschönt aus. Zwischen früher Liebermann-Zeichnung, Riefenstahl- und BDM-Mädel-Porträts sowie der „Mondfrau“ von 1989/92 zeigt sich die durchaus interessante ästhetische Normalität der vergangenen anderthalb Jahrhunderte.

ALEXANDER CAMMANN

„Berliner Künstlerleben“, bis 5. August, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Di–So 11–20 Uhr, Eintritt 3 Euro; „Preußische Boheme“, bis 5. August, Galerie des VBK, Schöneberger Ufer 57, Di–Fr 16–20, Sa–So 14–18 Uhr, Eintritt frei