Publikumsbeschimpfung

WUNSCHKONZERT Wolf Biermann tritt im Bundestag auf – und nutzt ihn als Bühne zur Abrechnung mit der Linken

VON ANJA MAIER

Norbert Lammert (CDU) hätte eigentlich wissen müssen, dass, wer sich Wolf Biermann wünscht, auch Biermann kriegt. Mitunter dann auch etwas anders als gewünscht. Der Bundestagspräsident hatte den 77-jährigen Sänger am Freitag zum interfraktionellen Mauerfall-Großgedenken in den Bundestag eingeladen.

„Ich freue mich, dass Sie mich hierher gelockt haben“, wandte Biermann sich zu Beginn an den Bundestagspräsidenten, „Sie hoffen, dass ich den Linken ein paar Ohrfeigen verpasse.“ Lammert, dem bei soviel Offenheit etwas seine Ironie abhanden kam, wies Wolf Biermann darauf hin, dass er ins Hohe Haus lediglich „zum Singen eingeladen“ sei. Eine Einlassung, die Biermann folgendermaßen quittierte: „Ich habe mir in der DDR das Reden nicht abgewöhnt, da werde ich es hier auch nicht tun.“ Damit war die Frage des Respekts gegenüber dem Gastgeber geklärt.

Biermann machte sich nun daran, den von ihm antizipierten Wunsch nach Geißelung der Linksfraktion zu erfüllen. Er als „Drachentöter“ könne nicht „mit großer Gebärde die Reste der Drachenbrut tapfer niederschlagen. Sie sind geschlagen“, erklärte er und zeigte auf die Linke-Abgeordneten. Die seien „dazu verurteilt, das hier zu ertragen. Ich gönne es euch“, ging er zum Du über. Und dann, ans Auditorium gewandt: „Die hier sind der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden ist. Ich habe euch zersungen mit den Liedern, als ihr noch an der Macht wart.“ Und dann fing er endlich an. Zu singen.

Biermann trug „Die Ermutigung“ vor. Ein gutes, ein wichtiges Lied, noch immer. Seinen Auftritt nutzte er zur persönlichen Abrechnung mit jenen, denen er sich einst zugehörig fühlte. Es war ein Lehrstück über öffentlich zur Schau getragene Eitelkeit und nicht vergehenden Groll unter Linken.

Frei nach der Sentenz, dass Ignorieren die höchste Form der politischen Auseinandersetzung sei, war aus der Linksfraktion zu Biermanns Einlassungen anschließend kein Statement zu bekommen. Auch in seiner Rede würdigte Fraktionschef Gregor Gysi allein „die historische Leistung aller Beteiligten in der DDR“, dass die Umwälzungen vor 25 Jahren gewaltlos blieben. Er habe seither nie wieder so glückliche Gesichter gesehen. Gysi wies auf die aus 1989 resultierende Verantwortung für alle Flüchtlinge hin.

Ein berührende Rede hielt die SPD-Abgeordnete Iris Gleicke. Die Ostbeauftragte der Bundesregierung erinnerte an die Opfer und betonte, die Mauer könne man „historisch einordnen, aber nicht rechtfertigen“. Ihre Stimme wurde brüchig, als sie fragte, was von der Euphorie des Anfangs eigentlich heute geblieben sei. Das Gedenken dürfe nicht zum Ritual verkommen, mahnte sie.

Katrin Göring-Eckardt von den Grünen schlug den Bogen zur aktuellen Debatte über Rot-Rot-Grün in Thüringen. „Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat, in der DDR verliefen Alltag und Willkür parallel“, sagte die Fraktionschefin. Aber – „die DDR, das waren wir alle“. Wenn es in diesem Land Versöhnung geben soll, müsse jeder Aufarbeitung betreiben. Richtung CDU mahnte sie, es sei Zeit, das Schweigen zu brechen – über die eigene Geschichte und den Umgang mit ihr. Es war eine Forderung, die nach dem unversöhnlichen Brachialauftritt von Wolf Biermann im Deutschen Bundestag von großem Gewicht scheint.