Der knarzende Brückenschlag

Armut und Hunger werden gegeißelt. Doch beim lautstark geplanten Ruf nach Heiligendamm gelingt es den Rednern nicht, das Publikum zum Leben zu erwecken. Der Woodstockgroove bleibt aus, weil niemand sagt, was vorher keiner dachte

von JAN FEDDERSEN

Ob die Idee, einen evangelischen Kirchentag in einer Stadt zu veranstalten, deren Einwohnerschaft vielleicht nicht immer sündenfrei lebt, auf alle Fälle aber katholisch, wirklich gut war, darf nach diesem Abend des Fronleichnamtages angefragt werden. Ein Stück weit, angefragt ... So muss es ja lauten hier in Köln unter Evangelens, denn Christen würden niemals drastisch Kritik üben.

So sagt es im Publikum: Die Kölner Verkehrsbetriebe haben nichts getan, um die Kirchentagsbesucher zügig vom Messegelände wegzutransportieren, Dienst nach Vorschrift und alle Bahnen nach Feiertagsfahrplan. Da verebbte sogar momentweise vor schwitzender Genervtheit das Singen, das Beten, das geschwisterliche Umarmen: Unterhalb des Doms, deswegen die lange Vorrede, auf dem Roncalliplatz, fand sich ein eher müdes Plenum ein, um die „Brücke nach Heiligendamm“ zu schlagen.

Moderator Arnd Henze tat wirklich einen guten Job, lobte den Herrn und rief auf den Platz zu den geschätzt 4.000 Menschen, nun wolle man wirklich eine lautstarke Brücke zum G8-Gipfel schlagen, rufen und zischen. Woran lag es bloß, dass keine Rede ernsthaft die Herzen berührte? Natürlich muss es nicht Kirchentagspräsident Reinhard Heppner angelastet werden, dass sein Satz: „Die Themen der Globalisierung beschäftigen uns hier wie dort“, nur den Mindestlautstärkepegel an Höflichkeitsapplaus erreichte. Bischof Desmond Tutu und der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, beschworen die Klagen nach Gerechtigkeit, den Wunsch nach einer Welt, die fair sein möge, geißelten Armut und Hunger und Leid – und vermochten doch das Auditorium nicht so recht zum Leben zu erwecken. Denn wenn alles immer gleich klingt, wenn niemand sagt, was keiner bisher so dachte, dann erinnert eine solche Gemeindlichkeit doch eher an eine Übung in Einschwörung, nicht an eine in lebendigem Weckrufen.

Tutu rief, als Afrikaner wolle er kein „Gegenstand eures Mitleids und eurer Barmherzigkeit“, sein, er sei „ein Kind Gottes, nicht sein Stiefkind“. Ein feinsinniges Statement das vielleicht in seiner Raffinesse gar nicht genug bedacht werden mochte, denn Kirchentage, evangelische zumal, leben doch von der Feier der Einfühlung und des Mitleidens.

Der Brückenschlag nach Heiligendamm fiel insofern etwas knarzig aus, die Bohlen, auf die die Zuhörer auf dem Platz zu gehen hatten, quietschten sozusagen: Man wollte so gern sich angeknüpft fühlen an den großen Rumor an der Ostsee, wollte quasi eine Art Woodstockgroove auf der Haut fühlen – und musste sich doch einsam spüren: Die Brücke nach Heiligendamm war mehr ein Steg ohne Geländer.

Niemand dachte auch nur eine Sekunde daran, das wahre Leben ins Spiel zu bringen. Dass Afrika längst nicht mehr überall Not leidet, dass das Bild vom bedürftigen schwarzen Kontinent ein liebgewonnenes ist, trotzdem nicht mehr gänzlich stimmt. China spielt längst mit seinen Trümpfen in den rohstoffsatten Gegenden Afrikas – und evangelische Entwicklungspolitik hat es dort umso schwerer. Kein Wort darüber auf diesem Kirchentag, dass die Ökonomie die Weitläufigkeiten des Ethischen längst auszustechen beginnt – eventuell zugunsten Afrikas gar.

Am Ende hatten noch zwei Drittel der Brückenschläger ausgeharrt. Abseits des Roncalliplatzes sog das katholische Köln alles auf, die Kneipen waren voll, überall orange Tücher, auf denen das Motto „Lebendig und kräftig und schärfer“ aufgemalt zu lesen stand, eine freundliche Schar an Menschen.

Köln hatte jüngst das Weltjugendtreffen. Ein Kölner mit Sinn für Verhältnisse meinte, damals standen die Menschen sogar im Rhein, nur um den Papst zu sehen. Da brach das Nahverkehrssystem wirklich zusammen. „Jetzt haben wir Gäste einer Konfession, die hier nicht so gelebt wird. Schön.“ Katholen hätten aus dem Kirchentag vermutlich einen lauteren Schrei gemacht.