„Die Opfer anerkennen“

Uni-Vortrag zu globaler Erinnerungskultur

■ 42, ist gebürtige Marokkanerin und lebt seit 29 Jahren in Deutschland. Sie ist Rechtssoziologin und lehrt am Institut für Sozialforschung

taz: Frau Kastner, ist Erinnerung nicht etwas Individuelles?

Fatima Kastner: Wir leben in einem globalen Zeitalter, das gekennzeichnet ist durch weltweite ökonomische, politische und institutionelle Verflechtungen, sowie durch die Herausbildung transnationaler Netzwerke. Dadurch haben sich auch die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für Erinnerung und Gedächtnis verändert – ein Phänomen, das seit den frühen 90er Jahren existiert.

Sie nennen es globale Erinnerungskultur.

Ja, ich untersuche es am Beispiel der weltweiten Einsetzung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen. Auch exotische Länder wie die Fidji-Inseln haben so eine Kommission, die sich mit vergangenem Unrecht an der Urbevölkerung beschäftigt.

Was bewirken denn diese Kommissionen?

Sie beziehen sich nur auf die Opfer, anders als Gerichte, die eine individuelle Schuld feststellen. Sie lassen die Opfer sprechen, die oft lange nicht gehört wurden und erkennen sie an.

Wie kann Erinnerung denn öffentlich werden, wenn die Opfer Minderheiten sind?

Durch die Einrichtung von Museen, Gedenkstätten oder Forschungsinstitute beispielsweise. Aber ob und inwiefern das in die Gesellschaft durchgreift, ist eine andere Frage.

Man kann ein Volk also nicht zwingen, sich zu erinnern.

Richtig. Es ist auch immer die Frage: Wer will sich erinnern?

INTERVIEW: EMS

20 Uhr, Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36