Island kämpft für seine Fische

EU-ERWEITERUNG Brüssel und Reykjavík verhandeln nun offiziell über den Beitritt der kleinen, aber wichtigen Insel. Die Euphorie der Bevölkerung für die EU ist gering

Die Volkswirtschaft hatte sich – dem Fisch sei Dank – schneller erholt als erwartet

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Fünfunddreißig Kapitel umfasst der Marathon der Beitrittsverhandlungen zwischen Island und der Europäischen Union, der in dieser Woche gestartet ist. Zwei Kapitel konnten gleich abgehakt werden. Island hat seit 16 Jahren über den gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum EWR am Forschungs-, Ausbildungs- und Kulturprogramm der EU teilgenommen und die entsprechende Rechtsprechung bereits in nationales Recht integriert.

Obwohl das so ähnlich auch in anderen Bereichen sein wird, erwartet Außenminister Össur Skarphédinsson keinen leichten Weg: „Wir müssen eine Volksabstimmung bestehen, der Prozess wird wohl lange dauern.“ Im Klartext: Angesichts einer klar EU-kritischen Haltung – nur ein Drittel ist derzeit für eine EU-Mitgliedschaft –, würde es keinen Sinn machen, den IsländerInnen überhaupt ein Verhandlungsresultat zur Abstimmung vorzulegen.

Vorbei sind das Jahr 2008 mit dem Bankencrash und der schwindsüchtigen eigenen Währung, als eine Mehrheit der Bevölkerung so schnell wie möglich der Union beitreten und den Euro einführen wollte. Die Volkswirtschaft hatte sich – dem Fisch sei Dank – schneller erholt als erwartet. Und der Euro ist derzeit nicht unbedingt ein attraktives Ziel.

Außerdem ist für viele IsländerInnen die EU seit der Auseinandersetzung um die Tragung der Icesave-Schulden ein rotes Tuch geworden. Brüssel schlug sich ungeachtet aller juristischer Fragezeichen einseitig auf die Seite von London und Den Haag und versuchte, Island zur freiwilligen Übernahme der von privaten Banken gemachten Schulden zu drängen. Erst nach zweimaligem Scheitern dieses Versuchs in einem Referendum landete die Frage da, wo sie hingehört: vor Gericht.

Von den Drohungen Großbritanniens und der Niederlande, die Beitrittsverhandlungen zu blockieren, falls Island sich nicht gefügig zeige, ist heute nichts mehr zu hören. Und sowohl in Brüssel wie bei den EU-freundlichen PolitikerInnen in Reykjavík hofft man wohl darauf, dass die IsländerInnen den Icesave-Zwist bald vergessen haben. Denn angesichts der wachsenden Bedeutung der Arktis ist das kleine Island für die EU von hoher strategischer Bedeutung in dieser Region. Zumal geglückte Verhandlungen mit Island auch die Anti-EU-Front in einem anderen für Brüssel interessanten nordischen Land aufweichen könnte: in Norwegen.

Voraussetzung wäre aber, dass die eigentlichen Klippen in den 35 Verhandlungskapiteln zur Zufriedenheit der IsländerInnen umrundet würden: Fischerei und Landwirtschaft. Eine Öffnung der Fischgünde für die großen Flotten der südeuropäischen EU-Länder komme nicht in Frage, erklärte Außenminister Skarphédinsson: „Die EU muss einsehen, dass sie erstmals mit einem Land verhandelt, für das Fischerei das vitale Thema ist.“ 75 Prozent des isländischen Exportwerts generiert die Fischwirtschaft.

Der Fischereikomplex soll angegangen werden, wenn Island auf euroäpäischer Seite mit einem besonders verständnisvollen Verhandlungspartner rechnen kann: Im ersten Halbjahr 2012 wird Dänemark turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.