ENDLICH – DIE ELBSCHLÖSSCHENBRÜCKE IN DRESDEN WIRD GEBAUT
: Etwas mehr Pragmatismus, bitte

Wenn es nur der Bau einer Brücke wäre, niemand außerhalb Dresdens würde sich für den Streit um die Waldschlösschenbrücke interessieren. Er wäre auch kaum vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet. Doch zwei Konflikte ziehen sich durch die Debatte, nur einen hat das Verfassungsgericht entschieden – die Frage, was schwerer wiegt: die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, das Weltkulturerbe zu schützen, oder die demokratisch legitimierte Entscheidung, eine Brücke zu bauen. Karlsruhe sagt zu Recht, der Bürgerwille sei wichtiger, auch wenn damit die Aberkennung des Weltkulturerbetitels für das Elbtal einhergeht. Die Brücke wird also gebaut.

Die andere Frage ist schwerer zu entscheiden: Wie halten wir es mit der Vergangenheit? In Deutschland tobt ein Kulturkampf: Ob es Frankfurt ist, wo das modernistische Rathaus abgerissen werden soll, damit Teile der im Krieg zerstörten Altstadt wieder aufgebaut werden können, oder Berlin, wo sich eine Bürgerinitiative gegen die gläserne Eingangshalle zur Museumsinsel wehrt. Überall artikuliert sich die Sehnsucht nach einer heilen Welt als Nostalgie für vermeintlich schönere Häuser aus besseren Zeiten. Eine historische Entwicklung soll an einem Punkt eingefroren und konserviert werden. In Dresden ist dieses Gefühl besonders ausgeprägt, ist doch die alte Schönheit der Stadt nur noch in Teilen sichtbar. Wo die Häuser schon nicht mehr stehen, soll wenigstens die Kulturlandschaft des Elbtals unantastbar sein.

Aber wenn etwa Wolfgang Thierse sagt, ein Bau der Waldschlösschenbrücke sei eine Katastrophe für den „Kulturstandort Deutschland“, bezieht er sich auf einen Kulturbegriff, an dem alles falsch ist. Nicht nur die Vorstellung, Bewahren sei wertvoll und Verändern barbarisch. Auch das Bedürfnis, dies zum Standortfaktor aufzupusten. So erklärt man Kultur zur Wohlfühlkulisse.

Wer über die Waldschlösschenbrücke reden will, sollte ein wenig der kulturkritischen Luft ablassen. Am Ende ist eine Brücke vor allem ein Bauwerk, das zwei Ufer verbindet. Und das braucht man, oder man braucht es nicht. TOBIAS RAPP