Die maßvolle Moderne

Auf der Weltausstellung von Osaka lotete Fritz Bornemann die Grenzen von Architektur und Raumskulptur aus. In Berlin ist immer noch seine Idee einer maßvollen Moderne zu bewundern

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Vielleicht hätte Fritz Bornemann zwischendurch öfter mal einen Stuhl entwerfen sollen. Oder ein Regal. Etwas Kleines, Handliches, das sich ohne Mühe aus den Archiven der Moderne in urbane Erlebnislandschaften übersetzen ließe. Dann würde der 1912 geborene Architekt heute wahrscheinlich in einem Atemzug mit Alvar Aalto, Arne Jacobsen oder Egon Eiermann genannt werden. Dann gäbe es über ihn Coffeetablebooks mit großen Fotos und kurzen Texten.

So aber ist der kürzlich verstorbene Fritz Bornemann immerhin der Mann, der die Nachkriegsmoderne nach Berlin gebracht hat, nämlich in Gestalt eines Geschenks des amerikanischen Volkes an die Berliner: Die Amerika-Gedenkbibliothek ist ein lichtes, nonchalant geschwungenes Bücherhaus, das inmitten einer wunden Stadt entstand. Als 1952 ihr Grundstein gelegt wurde, war das Hansaviertel, Westberlins herausragendes Bekenntnis zur modernen Architektur, noch kühne Vision und das gerade eröffnete Hotel Kempinski am Kurfürstendamm allenfalls Symbol einer ökonomischen Aufbruchstimmung. Fritz Bornemanns Bibliotheksbau aber war international im besten Sinne. Ein Haus so maßvoll wie die Entscheidung, es von einem Berliner Architekten entwerfen zu lassen. Bei Hans Poelzig, Architekt des Messegeländes wie des Babylon-Kinos, hatte Bornemann seinen Beruf zwischen 1930 und 1936 studiert. In Charlottenburg eröffnete er 1950 sein eigenes Architekturbüro.

Kühn und fremd mag die Gedenkbibliothek damals zwischen all den Trümmern und Brachen gestanden haben. Fremd wirkt sie noch heute. Oder besser gesagt: wieder. Nähert man sich vom U-Bahnhof Hallesches Tor, wird der Blick lange von einem impertinenten Wohnaccessoire-Discounter versperrt. Erst im letzten Moment öffnet sich der Blücherplatz dem Blick.

Überhaupt kennt die Stadt die Gedenkbibliothek vor allem als Kulisse. Während der Fahrt mit der U 1 genauso wie in Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“. Sitzt man hingegen selbst im transparenten Bücherregal, ist es Berlin, das zur Kulisse wird. Zumindest der Landwehrkanal, die Hochbahn und das westliche Kreuzberg. Schöner liest es sich vielleicht nur in der Bonner Universitätsbibliothek, die Fritz Bornemann bis 1960 gestaltet hat. Von dort kann man den Schiffen im Rhein zusehen.

Bornemann hat mit zwei Zuschauerräumen anderer Art Westberlin geprägt. Die Deutsche Oper (1955– 61) und die Freie Volksbühne, die zwei Jahre später eingeweiht werden sollte. Heute sind dort, in der Wilmersdorfer Schaperstraße, die Berliner Festspiele zu Hause. Ihr Intendant Joachim Sartorius hat eine beeindruckende Fotografie von Fritz Bornemann neben dem Schreibtisch hängen. Auch wenn darauf nicht die roten Strümpfe zu sehen sind, an die sich Sartorius noch so lebhaft erinnert. Eine rote Socke war demnach ausgerechnet der Architekt eines Westberliner Gefühls.

Das Foto zeigt einen agilen älteren Herren mit der schwarzen Architektenbrille eines Daniel Libeskind. Gerade einmal ein halbes Jahr ist dieses Bild alt, entstanden anlässlich des letzten Besuchs Bornemanns in seiner Volksbühne; damals wurde im oberen Foyer des Festspielhauses die Bornemann-Bar eingeweiht. Das ist eine angemessene Würdigung für einen Mann, dessen Pavillon zur Weltausstellung von Osaka im Jahr 1970 die Grenzen von Architektur und Raumskulptur, von Konzeptkunst und Popkultur ausgelotet hatte. Damals arbeitete er mit dem Avantgardekomponisten Karlheinz Stockhausen zusammen, dessen Klangräume und dessen Freundschaft Bornemann so geschätzt hat.

Avantgardistisch waren auch die, wenn nicht verglasten, dann kieselverkleideten Gebäudeschachteln von Fritz Borneman in ihrer Zeit. Wobei seine Deutsche Oper „schon eine enorme Setzung, ein wuchtiges Ding“ sei, wie Joachim Sartorius meint. Aber vielleicht ist es auch jene Wucht der Geschichte, die immer mitschwingt, wenn man die Deutsche Oper betrachtet. Am zweiten Juni wurden an Bornemanns Kieselsteinfassade weiße Rosen niedergelegt. Nicht im Gedenken an den in der Woche zuvor verstorbenen Architekten, sondern an Benno Ohnesorg, der vor 40 Jahren in einem zur Oper gehörenden Hinterhof erschossen worden war.

Das ist das Seltsame an der Architektur der Nachkriegsmoderne und ihrem Programm, „mehr Demokratie bauen“ zu wollen. 1968 standen Bornemanns transparente Bauten noch mitten in einer restaurativen Gesellschaft. Nach Brandt, Schmidt und Häuserkampf hat Fritz Bornemann kein einziges Gebäude mehr realisiert. Als Betontristesse wurde nun beschimpft, was einmal blühende, glühende Aufbruchstimmung war. Sehen die weißen Silhouetten, die Vögel von der Kollision mit der fassadenfüllenden Fensterfront des Festspielhauses abhalten sollen, nicht frappant wie Friedenstauben aus?

Möbel übrigens hat Fritz Bornemann sehr wohl entworfen. Nur hat er sie im Gegensatz zu seinen Kollegen nie einer Firma zur Produktion angeboten. So standen und stehen in seiner Gedenkbibliothek die Stapelstühle Egon Eiermanns. Genauso in den Straßencafés und Loftwohnungen.

Auf Bornemanns Sofahockern kann man aber immerhin noch im Foyer der Freien Volksbühne relaxen. Eine Kulissenbauerin der Berliner Festspiele hat die wenigen erhaltenen Exemplare engagiert und liebevoll nachgebaut. Mögen ihr noch eine Menge Menschen folgen, die es so gut mit Fritz Bornemann meinen.