Radikalität der christlichen Basis

Die Globalisierung ist eins der zentralen Themen des Kölner Kirchentages. Eine eindeutige Verurteilung des neoliberalen Siegeszugs fällt der Kirchenleitung jedoch schwer. Basisgruppen und internationale Verbände sind schon viel weiter

von Philipp Gessler

Der Kirchentag hat ein Problem mit der Globalisierung. Zunächst ein offensichtliches: Viele Fachleute für dieses Thema sind für das christliche Treffen in Köln nicht greifbar, weil sie auf dem gleichzeitig stattfindenden G-8-Gipfel in Heiligendamm sind. Oder sie sind auf den Gegenkundgebungen gegen dieses Event, wo ebenfalls die Hauptprobleme der Globalisierung diskutiert werden. Hinter diesem offenkundigen Manko steckt aber auch ein hintergründiges Problem der Kirche selbst: Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur neoliberalen Globalisierung ist unscharf.

Das könnte daran liegen, dass die Antworten nicht mehr so einfach sind wie etwa 1999. Auch damals fand der Kirchentag in Stuttgart zeitgleich mit dem G-8-Gipfel in Köln statt – und die bunten Erlassjahrschals sowie eine Menschenkette für das Erlassjahr 2000 prägten das Bild. War ein Konsens auf dieses Minimalziel seinerzeit relativ schnell herzustellen, tut sich die EKD nun schwerer. Weil alle Beteiligten acht Jahre älter und nach so vielen Katastrophen wie 9/11 klüger geworden sind?

Der deutsche Protestantismus kann sich jedenfalls zu einer radikalen Verurteilung des neoliberalen Siegeszugs des Kapitalismus weltweit nicht durchringen. Sicher, die Gliedkirchen der EKD treten dafür ein, dass die internationalen Finanzmärkte nach ethischen Kriterien reguliert werden. Der Abbau von Handelsschranken für Importe aus armen Ländern ist unumstritten – ebenso die Kritik am Protektionismus der reichen Länder im Agrarhandel und am Patentschutz für AIDS-Medikamente. Auch der Schuldenerlass und eine stärkere Beteiligung armer Länder in internationalen Institutionen wird gefordert.

All dies ist weit von dem entfernt, was internationale Konferenzen unter dem Druck der Kirchen des Südens bereits beschlossen haben. Ein Beispiel: „Als Communio müssen wir der falschen Ideologie der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung so begegnen, dass wir dieser Realität und ihren Auswirkungen Widerstand entgegensetzen, sie grundlegend umwandeln und verändern“, beschloss die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 2003 in Winnipeg. Ein anderes Beispiel: „Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Alliierten bedienen sich – in Zusammenarbeit mit internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen (Internationaler Währungsfonds, Weltbank, Welthandelsorganisation) – politischer, wirtschaftlicher oder auch militärischer Bündnisse, um die Interessen der Kapitaleigner zu schützen und zu fördern“, so die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 2004 in Accra.

Weder die Kirche noch der Kirchentag können sich auf eine solche Radikalität und solch prophetisches Pathos einigen. Stattdessen soll es morgen eine mediale „Brücke nach Heiligendamm“ geben. Und sehr viel mehr als „Wir wollen die Globalisierungsgegner und -befürworter aus der Konfrontation herausführen“, hat auch Kirchentagspräsident Reinhard Höppner nicht zu bieten. Kein Wunder, dass Attac, obwohl selbst eher gemäßigt, den Kirchentags-Organisatoren gestern vorwarf, in ihren Forderungen viel zu vorsichtig und gemäßigt zu sein.

Angesichts dieser Lage muss der Kirchentag erneut die protestantische Führungsschicht zum Jagen tragen: Die christlichen Basisgruppen haben über Jahrzehnte durch ihr nachhaltiges Engagement dazu beigetragen, dass zuerst die protestantischen Führungszirkel, dann auch Politik und Gesellschaft angefangen haben umzudenken – etwa in Sachen Klimawandel und fairer Handel. Dazu aber bedarf es der Radikalität und klaren Sprache christlicher Gruppen und Netzwerke. Passend zum schönen Kirchentags-Motto: „lebendig und kräftig und schärfer.“

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