Alle wollen mit

VON NICOLA LIEBERT

Die Börsianer wollen es wissen: Zielstrebig treiben sie den Deutschen Aktienindex (DAX) auf einen neuen Rekord zu. Am Freitag hat der 30 Unternehmen umfassende Leitindex der Deutschen Börse schon kurzfristig die 8.000-Punkte-Hürde übersprungen und dann den Tag bei 7.988 Punkten beendet.

Das nächste Ziel: den sieben Jahre alten Rekord von 8.136 Punkten zu brechen. Wenn das gelingt, und nur wenige Beobachter haben daran Zweifel, wäre endlich die Scharte ausgewetzt, die durch den Zusammenbruch der New Economy entstanden war.

„Alle wollen dabei sein“, hieß es am Freitag von den Händlern in Frankfurt. Klar, keiner will die Rally verpassen. Der Boom wird dadurch gewissermaßen zum Selbstläufer. Nicht nur deutsche Anleger kaufen Aktien auf, auch internationale Investoren wollen sich nicht länger nur auf amerikanische Papiere beschränken. Die Aktienumsätze haben allein im Mai um 11 Prozent zugenommen.

Aber bei aller Euphorie steigt auch die Nervosität. „Die Situation erinnert mich sehr an die Übertreibungsphase im Jahr 2000“, sagte ein Händler. Am 8. März 2000 war der DAX auf seinen bisher höchsten Stand geklettert. Dann platzte die Blase, der Internetboom war vorbei. Der DAX sackte innerhalb der nächsten drei Jahre auf nur mehr knapp über 2.200 Punkte.

Genau wie in der damaligen Boomphase wachsen die Aktienkurse auch diesmal exponentiell. Nur drei Monate brauchte der DAX jetzt, um von 7.000 auf 8.000 Punkte zu klettern. Der vorherige Tausenderschritt hatte fast ein Jahr gedauert. Bläht sich schon wieder eine Spekulationsblase auf, die demnächst platzt?

Nein, sagen die Optimisten – und verweisen auf die kräftige Konjunktur in Deutschland sowie auf das Wachstum der Weltwirtschaft und damit auch der globalen Nachfrage. Anders als vor der Jahrtausendwende stehe diesmal der Boom auf einer viel breiteren Basis.

Anders sehen das die Pessimisten. Einer ihrer Wortführer ist der bekannte US-Investor Jeremy Grantham, Chef der Vermögensverwaltung GMO. Er warnt derzeit vor einer „globalen Liquiditätsblase“, die nicht nur die Börsen erfasst habe, sondern auch andere Anlageformen wie Anleihen und Immobilien, Edelmetalle und Kunst. Unmengen von Geld konzentrieren sich in den Händen der Besserbetuchten, bei Investment- und Pensionsfonds. Die US-Notenbank hat durch ihre Niedrigzinspolitik, mit der sie die Konjunktur nach 2001 ankurbelte, die Geldschwemme noch verschlimmert. Alle suchen sie jetzt nach lukrativer Anlage und treiben so die Preise nach oben.

Da kommt jeder Vorwand recht, um die immer exorbitanteren Preise zu rechtfertigen. Gerüchte über einen Verkauf der US-Mobilfunktochter der Deutschen Telekom? Sofort kaufen. Die Telekom war am Freitag – trotz Streik und anhaltenden Kundenschwunds – der größte Gewinner unter den DAX-Werten. Immer wieder aufkochende Gerüchte über eine mögliche Übernahme des Softwarehauses SAP durch den Konkurrenten Oracle? Kaufen. Viele Analysten begründen die derzeitige Kursrally mit dem Übernahmefieber, das die Wirtschaft gepackt hat. Aber wie erklärt es sich dann, dass auch im gegenteiligen Fall die Kurse hochschießen, etwa wenn Daimler Chrysler abstößt und die Übernahme des spanischen Energieversorgers Endesa durch Eon platzt?

Solche willkürliche Begründungen erinnern in der Tat an die Zeiten der New Economy, als besonders schlaue Börsengurus sogar die Gesetzmäßigkeiten der herkömmlichen Ökonomie für außer Kraft gesetzt erklärten. Auch damals gab es Mahner, wie den damaligen US-Notenbankchef Greenspan, der schon im Dezember 1996 den „irrationalen Überschwang“ anprangerte. Recht hatte er damit zwar. Aber die Börse hatte trotzdem noch mehr als drei Jahre Hausse vor sich.