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: Klarer Sieg trotz vieler Fehler

FUSSBALL Für Hertha BSC ging es gegen den HSV um den Anschluss ans Mittelfeld. Mit einem stärkeren Gegner wäre es eng geworden

Der HSV-Fan vor dem Eingang wird ungeduldig. Ob es denn hier nur diese zwei Eingänge gebe? Ja? Aha, in Hamburg seien es vier. Knapp 58.000 Zuschauer wollen an diesem Samstagnachmittag im Olympiastadion Herthas Heimspiel gegen die Hamburger sehen, und ein paar Tausend stehen noch vor dem Eingang, als das Spiel schon läuft. Das bietet Gelegenheit zum Fachsimpeln: Werder Bremen hat soeben den Trainer entlassen, der HSV hat das schon hinter sich. Und Hertha?

Trainer Jos Luhukay ist nicht mehr unumstritten. Lange genoss der Niederländer Narrenfreiheit, auch bei den Anhängern, was ein seltenes Glück ist für einen Bundesligacoach. Eine katastrophale Rückrunde in der alten und ein paar eigentümliche Personalentscheidungen in dieser Saison später droht die Stimmung zu kippen. Fast ein Drittel der Spielzeit ist schon absolviert, langsam zeichnet sich ab, wohin die Wege führen: Bayern wird Meister, Paderborn ist früh auf dem Weg zum Klassenerhalt, Dortmund läuft den eigenen Erwartungen hinterher – und Hertha?

Nach nur acht Punkten aus acht Spielen ist die Partie gegen den HSV ein Schicksalsspiel. In Berlin kennt man das schon. Ein Sieg bringt den Anschluss ans Mittelfeld, bei eine Niederlage ziehen die Hamburger vorbei – und die Hertha in den Abstiegskampf.

Er habe „ein richtig gutes Spiel“ seiner Mannschaft gesehen, sagt Jos Luhukay anschließend. 3:0 – das klingt nach einer klaren Antwort. Der Heimerfolg ist verdient, der Hamburger SV ist an diesem Samstag ein harmloser SV. Aber 3:0 klingt eben auch eindeutiger und souveräner, als Herthas Auftritt tatsächlich ist.

Wie schnell die Partie zugunsten der Hamburger hätte kippen können, lässt sich auf eine einzige Spielminute reduzieren: Nach der Halbzeitpause ist die zuvor überlegene Hertha zerfahren, der HSV wird stärker, in der 59. Minute steht Hamburgs Außenbahnspieler Marcell Jansen frei vor Hertha-Keeper Thomas Kraft. Eine HSV-Führung wäre die Strafe für eigene Nachlässigkeiten und vergebene Chancen. Doch Kraft wehrt den Schuss ab. Im direkten Gegenzug schießt Hertha das 1:0.

Die Auftritte der breit und teils prominent verstärkten Mannschaft gewinnen zwar langsam an Struktur, das System ist aber über weite Strecken nicht variabel. Gegen den HSV gleicht jeder Angriff dem vorigen, der Ball wird auf den Flügel gespielt und von dort in den Strafraum geflankt. Doch dort fehlt ein kopfballstarker Abnehmer.

Noch schwerer wiegen unnötige Abspielfehler, selbst Kurzpässe misslingen. Wohl aus Herthas Konterstärke der vergangenen Saison resultieren Versuche, nach Ballgewinn sofort auf Angriff umzuschalten. Die Folge sind zahllose überhastet und unpräzise nach vorne geschlagene Bälle selbst dann, wenn sich freistehende Mitspieler für einen strukturierten Aufbau anbieten.

Hohe, weite Bälle sind eine taktische Variante, um das Pressing des Gegners zu umgehen. Gegen zweikampfstarke Teams ist das ein probates Mittel, gegen den kriselnden HSV wirkt es hingegen unbeholfen. Für einen besseren Gegner wäre Herthas Spielanlage an diesem Nachmittag eine Einladung zum Angriffsfußball.

Stattdessen lässt sich Änis Ben-Hatira am Ende von den Fans für seine Tore zum 1:0 und 3:0 feiern. Der Mittelfeldspieler symbolisiert den schmalen Grat, auf dem sich Hertha derzeit bewegt: Engagiert, technisch ausgezeichnet, aber oft zu überhastet, um Kapital daraus zu schlagen. In der ersten Halbzeit hat er eine Großchance vergeben. Gewinnt Hertha hier am Ende nicht 3:0 und steuert Ben-Hatira nicht zwei Tore dazu bei, landet der 26-Jährige nicht auf dem Schild, sondern am Pranger.

So aber steht der dritte Heimsieg in Folge – das gelang Hertha BSC zuletzt in der Zweiten Liga. Ob sich das Team angesichts seiner Unkonzentriertheiten und der anhaltenden Auswärtsschwäche schon vom Abstiegskampf lossagen kann, ist fraglich: In der nächsten Woche wartet mit Luhukays früherem Verein, dem Überraschungsaufsteiger SC Paderborn, ein schwererer Brocken als der Harmlos-SV.

TORSTEN LANDSBERG