Patricks Rache

MEER Das Festival Berlin del Mar vereint Tourismuskritik und urbanistische Heilsvisionen

Im neuen Urlaubsresort Berlin del Mar am Alexanderplatz rächt Patrick Wengenroth sich für in der Jugend erlittene „Baywatch“-Traumata. Im knallengen roten Badekostüm und in der Hand eine ebenso quietschrote Rettungsboje haltend stolziert er über die neueste Strandbühne der Stadt und schmettert David Hasselhoffs Mitgröhlhit „I am looking for freedom“. Das ist durchaus lokalhistorisch aufgeladen. Zu Silvester 1989 trug der echte Hasselhoff die Hymne an der Berliner Mauer vor. Wengenroths Erinnerung zufolge hielt der „Baywatch“-Oberbademeister sich damals für einen mitentscheidenden Akteur am Mauerfall.

Das Re-Enactment erfolgt nun ausgerechnet im Schatten des mächtigen 70er-Jahre-Neubaukastens an der Karl-Marx-Allee, wo nach der Wende die Gauck-Behörde die Stasi-Akten sichten ließ und früheren Opfern zur Lektüre zur Verfügung stellte. Jetzt steht der Riesenbau leer. In all seiner betonierten Verwahrlosung ist er ein spätes Zeugnis der Freiräume, die Berlin-Mitte vor zwei Jahrzehnten bot.

Als Erinnerung an diese Freiräume fassen auch die Festivalinitiatoren Franziska Werner und Mark Thomann ihre „Berlin del Mar“ genannte Intervention in den Stadtraum auf. „Berlins Mitte ist einem Verdrängungsprozess unterworfen. Die Sophiensäle sind einer der ganz wenigen Orte, in denen noch freie Kunst möglich ist. Der öffentliche Raum wird zunehmend von kommerziellen Veranstaltungen okkupiert“, konstatiert die neue Co-Leiterin der Sophiensäle, Franziska Werner. Sie hat festgestellt, dass bei dieser Art von Verdrängung die Ämter kräftig mitmischen. „Man hat uns angeboten, doch auch nach Neukölln oder Wedding zu gehen. Dort sei ausreichend Platz“, erzählt sie. Doch Werner und Thomann, die zu den Begründern der seit Jahren im öffentlichen Raum agierenden Peformancegruppe „Pony Pedro“ gehören, wollten eben nicht dem Trend der künstlerischen Zwischennutzung peripherer Areale folgen, sondern in der zuerst von Künstlern aufgewerteten Stadtmitte präsent sein. Und so beherbergt ein einstmals trister Parkplatz, der eingekeilt ist von der früheren Stasi-Unterlagen-Behörde auf der einen und der aktuellen AOK-Zentrale auf der anderen Seite, jetzt eine temporäre Urlaubsanlage.

Allerdings eine von prekärer Provenienz. Die Palmen stehen auf Euro-Paletten herum. Was Pool sein soll, ist nur blau angemalt. Der Strandwachturm ist eine heikle Bretterkonstruktion. Immerhin funktioniert die Strandbar und aus den Boxen dringen Urlaubshits.

Für das Zerstreuungsprogramm ist ein gutes Dutzend Performancekollektive zuständig. Neben „Planet Porno“-Erfinder Wengenroth tritt der Escort-Service der Schweizer Performerin Beatrice Fleischlin in Aktion. Die Puppenspielerinnen der Lovefuckers stellen das Leben von Berlins Oberplayboy Rolf Eden auf den Kopf. Das allerorten beliebte Trashpuppentheater Das Helmi entführt das Publikum mit einer schwülen, von Revolutions- und Voodoopraktiken aufgeladenen Cross-Color-Liebesgeschichte zuerst in die Karibik und spürt in der zweiten Woche dem Schicksal des im Türkeiurlaub zum Strafjustiz-relevanten Mädchenverführer mutierten Marco W. nach.

Durch ein Hotelzimmer lassen drei Mitglieder des Performance-Kollektivs Turbo Pascal den aktuellen Urlaubswahnsinn durchrauschen: Arabische Demonstranten versammeln sich vor den Toren der Ferienparadiese der Europäer in Nordafrika. Diese Bilder werden mit historischen Aufnahmen der einstmals Reisefreiheit fordernden Ostdeutschen geschnitten. Angela Merkel erzählt von ihrem Saunabesuch am Tage des Mauerfalls. Elemente des Verbrechens aus dem perfekt eine spanische Urlaubshölle beschreibenden Krimi „Cocaine Nights“ von James Graham Ballard, der auch eine erste Inspirationsquelle für Berlin del Mar insgesamt darstellte, dringen ebenfalls in die standardisierte Beherbergungszelle herein. Am Ende landen gar noch die Außerirdischen in Mitte.

Berlin del Mar könnte sich zum Geheimtipp des Sommeranfangs mausern. Trash trifft hier auf Relaxqualität. Gentrifizierungskritik ist auch mit dabei. Und dass ausgerechnet die Mitarbeiter einer großen Krankenkasse, die für die nur sparsame Bewilligung von Kuren ihrer Versicherten bekannt ist, ein Erholungsparadies gleich nebenan vorfinden, eröffnet einen zusätzlichen diskursiven Strom.

TOM MUSTROPH

■ Berlin del Mar, Performance-Festival, bis 3. Juli, Otto-Braun-Str 70/72, Eingang Karl-Marx-Allee