Eine Idee, gereift wie ein Ziegenkäse

LANDLEBEN Vor zehn Jahren fand die Sozialpädagogin Imke Dirks, dass sie ihr Leben ändern müsse. Auf einer Alpe lernte sie zu käsen, dann baute sie sich bei Bremen einen Ziegenhof auf. Trotz der sieben langen Arbeitstage pro Woche hat sie ihre Entscheidung bisher nicht bereut

VON THOMAS JOERDENS

Imke Dirks klatscht in die Hände und grinst. Sie weiß, was jetzt passieren wird und amüsiert sich schon mal. Am anderen Ende der saftig grünen Wiese schießen 70 mehr oder weniger behörnte Köpfe in die Höhe und die braunen, grauen, weißen Milchziegen rennen auf die Ziegenhirtin Imke Dirks und ihren Gast zu. Kaum angekommen, beginnen die grauen Toggenburger, die schwarzweißen Holländer Schecken, die bunten Deutschen Edelziegen an den Menschen zu zupfen, zu knabbern, sie zu knuffen und sich zu reiben. „Die holen sich ihre Streicheleinheiten“, sagt Imke Dirks und ermahnt lachend Soul, Picea, Malve, Kantate, Banani und die anderen, sich zurückzuhalten. Alle Ziegen tragen einen Namen und keine gehorcht.

„Das mit den Namen macht mir Spaß, und ich kann die ja alle auseinanderhalten“, sagt die hochaufgeschossene, schlanke Landwirtin mit dem blonden Wuschelkopf und den kleinen goldenen Ohrsteckern, von denen einer die Form einer Ziege hat. Man sieht am Strahlen ihrer blauen Augen, dass die 47-Jährige vor zehn Jahren die richtige Entscheidung getroffen hatte, als sie sich in Hohenmoor, zwischen Syke und Nienburg, mit dem Ziegenhof „Die Ziegerei“ selbstständig gemacht hat.

Sieben lange Arbeitstage

Imke Dirks freut sich täglich an den Tieren und produziert aus deren Milch in der eigenen Hofkäserei diverse Ziegenkäsesorten aus ökologischer Landwirtschaft. Und sie genießt nach wie vor das Landleben. Trotz der langen Arbeitstage, die morgens um halb sieben an der Melkmaschine beginnen und selten vor 20 Uhr enden – an sieben Tagen in der Woche. Im Dezember feiert der Betrieb sein Jubiläum.

„Man muss ein bisschen verrückt sein“, meint Imke Dirks, um sich auf das Abenteuer Landwirtin und Käserin als Quereinsteigerin einzulassen. Der Einsatz hat sich gelohnt. „Es läuft jedes Jahr ein bisschen besser und ich bin zufrieden.“ Die Nachfrage sei inzwischen so groß, sagt Imke Dirks, dass sie locker mehr verkaufen könnte als ihre jetzige Produktion. Zahlen behält die Unternehmerin für sich. Imke Dirks plant indes keine Expansion. „Ich will meinen Alltag schaffen und mein Tag ist voll“, sagt sie.

Manche gehen ins Kloster

Die gelernte Käserin spricht norddeutsch klar. Ihr helfen eine Vollzeitpraktikantin und eine Teilzeitkraft beim Melken sowie beim Verkauf auf den Märkten. Das aktuelle Käseangebot besteht aus rund 15 Sorten. Dazu gehören Camembert und Brie, Schnittkäse und Ziegen-Taler, Ziegencreme mit Bärlauch oder Aprikose-Curry sowie gereifte Frischkäsekreationen wie die Pyramide geascht oder die klassische Ziegenrolle. Die Preise liegen zwischen 20 und 34,50 Euro pro Kilo.

Imke Dirks wusste ungefähr, auf was sie sich einließ. Sie ist ein Landkind, aufgewachsen mit Hühnern, Schafen und Schweinen in Hohenböken bei Ganderkesee, 60 Kilometer entfernt von ihrem jetzigen Wohnort. Die Eltern hatten ihren Hof aufgegeben als Imke noch klein war. Also fuhr das Mädchen auf Nachbars Trecker und molk sich warme Kuhmilch aus dem Euter in den Mund.

Eine Karriere als Bäuerin stand für die Abiturientin jedoch keinen Moment zur Debatte. Sie studierte in Berlin Sozialpädagogik und arbeitete anschließend in der Notaufnahme im Mädchenhaus Bremen, einer Anlauf- und Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen.

Nach sieben Jahren spürte Imke Dirks, dass sie etwas verändern musste, beruflich und persönlich. Manche gehen dafür ins Kloster und meditieren. Imke Dirks gehört eher zu den Machertypen und entschied sich fürs Malochen, um den Kopf frei zu bekommen für neue Ideen. Mit einer Freundin heuerte sie als Sennerin auf einer Kuhalp in der Schweiz an. Die harte Arbeit und die monatelange Einsamkeit taten gut. Es folgten weitere Sommer-Engagements. Wegen einer Kuhmilchallergie wechselte Imke Dirks auf eine Ziegenalp, wo es schließlich klick machte.

Böcke unter sich

Die Idee war gereift wie ein Käse. „Ich wollte gern auf dem Land leben und dort arbeiten, wo ich lebe“, erzählt Dirks. „Außerdem liebe ich gutes Essen, und mein Herz schlägt für den ökologischen Landbau.“ Die Ziegenkäseliebhaberin hatte einen neuen Traum und beschloss, sich eine Existenz als Ziegenhirtin aufzubauen mit eigenem Hof und einer Käserei als ökologisch zertifiziertem Betrieb.

Die angehende Bio-Bäuerin arbeitete zunächst auf Ziegenhöfen und in anderen landwirtschaftlichen Betrieben, um sich die Abläufe draufzuschaffen. Nebenbei absolvierte sie eine Ausbildung als Käserin, verdiente Geld als freiberufliche Familienhelferin und suchte schließlich ein geeignetes Gehöft im Bremer Umland. Nach rund 50 Besichtigungen kam sie nach Hohenmoor und wusste: „Das ist es. Hier könnte ich mich wohlfühlen.“

Imke Dirks kaufte 2004 den Hof mit Haupthaus und mehreren Nebengebäuden, die ausreichend Platz für die Ställe, die Käserei und den Reiferaum bieten. Dazu gehören sechseinhalb Hektar Grünland, auf denen die Ziegen artgerecht leben. Der bunte Bestand der Milchziegen und der Umfang der Herde ist bis heute konstant geblieben; die beiden Böcke Aslan und Campino leben in ihrem eigenen Stall.

„Die ersten drei Jahre waren hart“, erinnert sich Dirks. Anfangs käste sie unter provisorischen Bedingungen, weil Käserei und Reiferaum noch nicht fertig waren. Dies wirkte sich negativ auf die Qualität aus. Gleichzeitig war klar: Wenn Dirks Abnehmer finden wollte, musste sie guten Käse herstellen. Sie richtete sich ein, sie lernte, sie perfektionierte und sie experimentierte.

So dachte sie sich beim Melken neue Kreationen aus, wie Thymian-Rondelle oder eine Frischkäsevariation mit Dattel-Minze. Ihre Ziegencreme Knoblauch-Kräuter und den Camembert „Edel-Ziege“ prämierte der „Verband für handwerkliche Milchverarbeitung im ökologischen Landbau“ (VHM) vor zwei Jahren mit einem Fachjury-Preis und zwei Publikumspreisen.

Ziegenkäse läuft gut

Imke Dirks beliefert zwischen Sylt und Deister knapp 20 Händler, die mehr als die Hälfte der Produktion abnehmen und weiterverkaufen. Unter anderem auf den Märkten in Oldenburg und Delmenhorst am Käsewagen der „Grummersorter Hofgemeinschaft“. Imke Dirks und ihre Mitarbeiter vermarkten den Ziegenkäse sowie Zickenfleisch und Ziegenwurst auch direkt, zum Beispiel jeden Samstag auf dem Nienburger Wochenmarkt.

„Bio-Ziegenkäse aus der Region zieht in den letzten Jahren mächtig an“, sagt Dirks. Sie bemerkt die wachsende Beliebtheit daran, dass die Vorräte aus den vier Kühlschränken und den beiden Kühltruhen immer schneller verkauft sind und sie Nachschub käsen muss. Den allgemeinen Ziegenkäsetrend bestätigt die Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft. Demnach ist die private Nachfrage zwischen 2008 und 2010 um ein gutes Fünftel gestiegen: von rund 8.800 auf 10.700 Tonnen.

Das Gros des Käses stammt aus Frankreich, der Ziegenkäse-Nation schlechthin. Deutschland ist ein Kuhmilchkäseland. In den circa 1.000 hiesigen Hofkäsereien, von denen gut die Hälfte im VHM organisiert sind, wird ebenfalls überwiegend Kuhmilch verarbeitet. Davon gehören 279 zum VHM. Den zweiten Platz in der Mitgliederstatistik besetzen 144 Ziegenmilchkäsereien, darunter „Die Ziegerei“ von Imke Dirks.

Fahrrad, Hund und Buch

„Momentan läuft’s perfekt“, freut sich die Chefin, die sich trotz ihrer randvollen Arbeitstage Zeit freischaufelt und sich um ihre drei Pferde kümmert. Ansonsten gibt sich Imke Dirks bescheiden: „Ich habe ein Fahrrad, einen Hund und ein Buch.“ Sie denkt schon lange nicht mehr darüber nach, ihr Leben zu ändern.

Allerdings ahnt sie, dass sie mit 65 Jahren körperlich vermutlich nicht mehr in der Lage sein dürfte, die Arbeit auf dem Hof zu bewältigen. Kein Drama für eine flexible Frau wie Imke Dirks, die mit der Gewissheit lebt: „Man kann jederzeit etwas anderes machen.“