WAS HABEN MEXIKANER UND MÜNSTERLÄNDER WIE ICH GEMEINSAM? EIN KONSERVATIVES FAMILIENBILD
: Viva la familia

MATTHIAS LOHRE

Münsterländer sind so ziemlich das Gegenteil von Mexikanern. Ihr Temperament beschreiben Menschen, die Münsterländern skeptisch gegenüberstehen, und das sind viele, als nicht vorhanden. Mexikanern hingegen hängt der Ruf an, sie seien wie Animateure auf Koks, nur etwas stürmischer. Ich stamme aus dem Münsterland. Und neulich besuchte ich eine Party von Mexikanern.

Als ich an der Tür klingele, sage ich mir beruhigend: Sieh es als Feldstudie. Vielleicht gibt es ja gar Gemeinsamkeiten zwischen Mexikanern und Münsterländern. Immerhin gelten beide Ethnien als gesellschaftspolitisch konservativ, tief geprägt vom Katholizismus. Während die Mehrheit der Deutschen laut neuestem Mikrozensus erstmals nicht mehr in einer Familie mit Kindern lebt, ist das für die meisten Mexikaner und Münsterländer undenkbar. Ihnen gilt die Familie als Trutzburg gegen die Zumutungen der Außenwelt. Sie ist fast so heilig wie Fußball.

Die Tür öffnet. „Heeeeeeyy, Matthias, oooooohhhhh, komm rrrreiin!“ Die Gastgeberin zieht mich in ihre Wohnung. Es herrscht Lachen und Alkoholdunst. Die Gastgeberin und ihr Mann feiern ihren Einzug. Beide Mexikaner, elf Jahre Berlin, zwei Kinder. Ich blicke mich um: Die Frauen sind elegant bis sexy gekleidet, die Männer gestikulieren wild, und alle reden wüst durcheinander. Definitiv keine Münsterländer. Ich – blond, über 1,90 Meter, unsicheres Lächeln – komme mir vor wie ein exotisches Tier. Wie unangenehm.

Immer, wenn ich mich umdrehe, sehe ich Frauen, die eilig den Blick von mir abwenden. Das ist entweder sehr schmeichelhaft für mich. Oder sehr beängstigend. Oder beides. Bald umschwirren mich Mexikanerinnen mit ausladenden Gesten und ebensolchen Brüsten. „Frauen müssen für Männer kochen, sonst laufen sie ihnen weg. Vor allem so einer wie du, hahahahahahahahaaa!“ Wüsste ich es nicht besser, dächte ich, ich würde angebaggert von Frauen meines Alters. Ich komme mir immer noch vor wie ein exotisches Tier. Gefällt mir.

Ein Deutscher, abgeklärter Blick, stellt sich neben mich: „Guck dir die Leute mal genauer an“, sagt er leise: „Die Frauen tragen untenrum Miniröcke und obenrum Botox. Und die Männer glotzen den Freundinnen ihrer Frauen auf den Arsch. Männer zeigen ihr Geld und Frauen ihre Brüste. Familie? Zusammenhalt? Ist doch alles Fassade.“ Dass sie immer so negativ sein müssen, diese Gringos.

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Etwas anderes erweist sich als wichtigste Gemeinsamkeit zwischen Mexikanern und Münsterländern: die Liebe zum Alkohol. Als ich mich viele Stunden später verabschieden will, sehe ich, wie sich der Gastgeber angeregt mit dem Dekolleté seiner Schwägerin unterhält. Die Gastgeberin ist einen Schritt weiter und knutscht verstohlen mit dem Bruder einer mexikanischen Freundin. Na, na, na, sage ich mir: Bei uns im Münsterland tut man wenigstens so, als unterhalte man sich, bevor man sturzbesoffen in einer Ecke rummacht. Das nennt man Anstand.

Aber was soll’s, denke ich, als die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fällt: Hauptsache, es bleibt in der Familie.