FINNLAND NACH DEN WAHLEN: KONTINUITÄT TROTZ KOALITIONSWECHSEL
: Gefährliche Harmoniesucht

Nach ihrem knappen Wahlsieg sucht die Zentrumspartei des finnischen Ministerpräsidenten Matti Vanhanen nun nach Bündnispartnern für eine neue Regierung. Doch gleich welche Parteien zusammen die nächste Regierung stellen werden – letztendlich wird es in Helsinki nach den Wahlen so weitergehen wie bisher. Denn in den meisten wichtigen politischen Fragen stimmen die großen finnischen Parteien weitgehend überein.

Kontinuität wird in Finnland hoch geschätzt. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der jahrzehntelange Balanceakt des Landes zwischen Ostblock und Westeuropa sind nicht nur im öffentlichen Bewusstsein noch sehr lebendig. Bis heute prägt der Wunsch nach einem starken Konsens die Politik. Möglichst wenig politischer Streit gilt als erstrebenswert, breite Koalitionen quer durch das Parteienspektrum sind üblich.

Die Existenz dreier in etwa gleich starker Parteien sowie das Fehlen einer längeren demokratisch-liberalen Tradition haben dazu beigetragen, dass sich die jeweiligen Oppositionsparteien meist als künftige Regierungspartei in Wartestellung verstehen. Das damit ein wirkungsvolles Gegengewicht zur Regierung fehlt, ist aber zunehmend ein Problem. So ist vor den jetzigen Wahlen keine der Zukunftsfragen, vor der die finnische Politik steht, auch nur im Ansatz kontrovers debattiert worden. Harmonie um jeden Preis hilft aber nicht weiter.

Finnland geht es zwar so gut wie nie in seiner Geschichte, glaubt man der Statistik. Doch zugleich wächst die Zahl derer, die davon nicht profitieren. In den letzten zehn Jahren ist die Kluft zwischen oben und unten deutlich größer geworden. Im Vergleich zum übrigen Skandinavien ist die Arbeitslosigkeit doppelt bis dreifach so hoch und scheint sich auf diesem Pegel einzupendeln. Der Sozialstaat ist in den letzten Jahren mehr und mehr angeknabbert worden. Sollte es zu einer Mitte-rechts-Koalition – ohne die Sozialdemokraten – kommen, wird sich dieser Trend noch verstärken.

Finnland lebt derzeit auf Kredit. Eine Politik ohne Visionen kann sich da schnell rächen.

REINHARD WOLFF