Rote-Khmer-Prozess auf der Kippe

Juristen des Sondertribunals in Kambodscha streiten sich über Verfahrensregeln

BANGKOK taz ■ Die für dieses Jahr in Kambodscha angesetzten Prozesse gegen die Exführer der Roten Khmer könnten platzen. Der Grund: Die ausländischen und kambodschanischen Juristen des Sondertribunals streiten über maßgebliche Verfahrensregeln. Kambodscha beharrt darauf, dass einheimisches Recht über internationalem stehen soll. Zudem ist die Rolle ausländischer Strafverteidiger strittig. Die Kambodschaner wollen nicht zulassen, dass diese während der Verhandlungen Opfer und Angeklagte befragen.

Für die UN-Vertreter ist deren Präsenz unerlässlich. Sie bestehen auf einer unabhängigen Verteidigung. Einen schnellen Schauprozess unter einer von Kambodschas Regierung manipulierten Justiz lehnt die internationale Seite ab. Heute sollen die Gespräche zu Ende gehen. Falls sie scheitern, wollen die ausländischen Richter die UNO bitten, sich aus dem Tribunal zurückziehen zu dürfen, hieß es.

Damit wäre die juristische Aufarbeitung des Genozids in Kambodscha am Ende. Das aus zwölf UN-Richtern und siebzehn von Kambodschas Regierung ausgewählten Juristen bestehende Tribunal soll ab Mitte dieses Jahres beginnen, die ehemaligen Führer der Roten Khmer wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzuurteilen. Zwischen 1975 und 1979 waren unter deren Regime schätzungsweise 1,7 Millionen Kambodschaner ums Leben gekommen.

Anklägern und Opfern läuft die Zeit davon: „Die internationalen Richter sind sich einig, dass diese Prozesse rasch stattfinden sollten oder gar nicht mehr“, so der französische Jurist Marcel Lemonde. „Die Möglichkeit für die internationalen Juristen, frei und unabhängig zu arbeiten, ist entscheidend für die Integrität des Prozesses“, erklärte auch das aus 23 Nichtregierungsorganisationen bestehende „Cambodian Human Rights Action Committee“ (CHRAC). Zudem monierte das CHRAC: „Wir sind enttäuscht, dass sich bislang in puncto Gerechtigkeit für die Opfer wenig getan hat.“

Zumal sich immer stärker die Frage aufdrängt, wer vor dem Tribunal angeklagt werden soll. Einige der mutmaßlichen Verantwortlichen wurden bereits 1998 von der Regierung unter Premier Hun Sen, selbst ein Exoffizier der Roten Khmer, amnestiert. Nur einer der damaligen Täter sitzt heute in Haft: der frühere Leiter des Foltergefängnisses Tuol Sleng in Phnom Penh, Kaing Khev Iev. Andere, wie der als „Bruder Nummer zwei“ berüchtigte Noun Chea, leben unbehelligt in Freiheit. Im Juli 2006 meldeten die Medien den Tod des 82-jährigen Exmilitärchefs Ta Mok. Und die Schlüsselfigur des Völkermordes, der berüchtigte „Bruder Nummer eins“, Pol Pot, starb 1998.

Beobachter monieren schon lange die engen Verbindungen zwischen der Regierung Hun Sen und den ehemaligen Roten Khmer. Schließlich sitzen viele der mutmaßlichen Täter wieder in hohen politischen Ämtern. Rund 30 Jahre lang habe sie auf Gerechtigkeit gewartet, sagt Dina Nay, Direktorin des „Khmer Institute of Democracy“ in Phnom Penh der taz. Nay ist eine Überlebende des Khmer-Rouge-Regimes: „Wir wollen, dass dieses Kapitel abgeschlossen wird.“

Ob es dazu kommt, ist fraglich. Für manche Experten ist trotz allem noch nichts endgültig entschieden. Helen Jarvis, Sprecherin des Tribunals, wurde kürzlich mit den Worten zitiert: „Es ist eine äußerst komplexe Angelegenheit, kambodschanisches Recht den internationalen Standards anzupassen. Rückblickend können wir sagen: Unsere Einschätzung war zu optimistisch, dass dies alles schneller hätte getan werden können.“

NICOLA GLASS