pornokaraoke von ILKE S. PRICK
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„So hat er das nicht gemeint!“, kreischt Gisela. Wenn sie könnte, hinterließe sie jetzt eine Bremsspur, die einem Ferrari alle Ehre machen würde. „Aber er hat doch gesagt, du sollst üben“, schlaumeiert Sylvia, „und wenn er wüsste, dass du das wirklich machst, wäre er begeistert.“ – „Ich soll Töne machen, hat er gesagt. Ahh und Ohh. Und Dehnübungen. Hiervon war nicht die Rede!“ Bei dem Stimmvolumen, das Gisela gerade an den Tag legt, frage ich mich, warum sie überhaupt noch üben soll.

Gisela ist aufgestiegen. Führungsposition. Also beinahe. Ein bisschen gehoben aber auf jeden Fall. Wir sind stolz auf sie. Nur wie soll das mit dem Führen klappen, wenn sie spricht wie Minimaus? Darum haben wir ihr einen Kurs in Stimmbildung geschenkt. Nun spricht sie zwar nicht mehr mausemäßig, aber ein leichtes Nagetier-Timbre ist geblieben. „Üben!“, hat ihr Stimm-Coach gesagt. „Immer weiter üben!“ Und Sylvia hat diese Anregung aufgegriffen.

„Aber du meintest: Karaoke!“, trötet Gisela jetzt, und ich frage mich, ob vielleicht genau das stimmlich dabei herauskäme, wenn man eine Maus mit einem Elefanten kreuzt. „Wo ist dann das Problem?“, giftet Sylvia zurück: „Es ist Karaoke!“ Ich nicke: „Im weitesten Sinn.“ Sie hatte gesagt: Karaoke. Sie hatte gesagt: In einer angesagten Bar. Und sie hatte gesagt: Lasst euch überraschen. Na, und das sind wir ja jetzt auch. Denn leider hatte sie verschwiegen, dass es sich hier um Pornokaraoke handelt. Arme Gisela, in ihrer Haut möchte ich nun nicht stecken.

Auf der Bühne steht ein Pärchen und synchronisiert einen Pornofilm aus den Siebzigern: Fönfrisuren, türkisfarbener Lidschatten und die Klamotten, tja, von Klamotten ist da auf der Leinwand nicht mehr viel zu sehen. Dafür ist aber was zu hören. Aus dem Lautsprecher. Von dem Pärchen am Mikrofon. „Merkst du nicht, wie sich da gleich das Zwerchfell lockert und schwingt?“, versucht Sylvia wieder die fachliche Ebene zu wahren. „Das müsste deinen Stimm-Coach doch freuen.“ Giselas giftiger Kommentar geht im synchronen Bühnen-Stöhnen und einem jodelartigen Triller unter.

„Und du hast doch auch gelernt, dass sich die Entspannung beim Orgasmus positiv auf die Stimme auswirkt. Das stimmt doch, oder?“, versucht Sylvia erneut zu theoretisieren. „Ja, tut sie. Aber um einen Orgasmus vorzutäuschen, hätte ich auch zu Hause bleiben können“, meckert Gisela. „Oh, dass es so ist bei euch, hätte ich nicht gedacht. Ich meine sooo lange seid ihr doch auch noch nicht zusammen“, stutzt Sylvia ehrlich überrascht und ködert: „Aber hier bekommst du immerhin Applaus dafür.“ Sie grinst. Giselas halbherziger Konter wird prompt vom Tosen des Publikums übertönt. Das Pärchen verneigt sich, und der Conférencier nickt Sylvia zu, als er auf die Bühne geht.

„Auf jetzt, Mädels“, raunt sie, „wir sind dran!“ Sie sieht mich aufmunternd an. „Wieso wir?“, frage ich irritiert. Davon war nicht die Rede. „Weil wir etwas für drei machen!“, säuselt sie und entschwindet Richtung Mikrofon, mit Gisela im Schlepptau. Zu dritt? Vor allen Leuten? Ach, was soll’s. Vielleicht ist es ja wirklich gut fürs Zwerchfell. Sehen wir es als Übung. Sylvia winkt, und ich stehe auf. In Ordnung, ahhh, ich komm ja schon!