Der mit den sinnierenden Typen

MALEREI Picasso lobte die Vitalität in den Bildern des Wahl-Parisers, daheim in Deutschland kannte ihn kaum jemand. An Helmut Kolle, 1931 jung verstorben, erinnert jetzt eine Ausstellung in Hamburg

Kolle hatte sich lange nicht zwischen Malerei und Dichtung entscheiden können

Möglicherweise wäre er auch ein guter Schauspieler geworden. Jedenfalls verkleidete sich der junge Helmut Kolle gerne und inszenierte sich etwa als kosmopolitischer Dandy mit Eton-Abschluss, wahlweise aufgewachsen im Sudan, in Argentinien oder Indien.

In Wahrheit verbrachte der 1899 geborene Berliner seine Kindheit in Bern, kehrte als Teenager nach Deutschland zurück, um Mitte der 1920er Jahre nach Paris zu gehen. Dort wurde er als Maler berühmt und starb, mit 32, an einer Herzkrankheit. An das Werk des hierzulande weitgehend unbekannt Gebliebenen erinnert nun das Hamburger Ernst Barlach Haus mit der ersten örtlichen Retrospektive seit 1952.

Schon damals wurde auch Kolles frühes Ölbild „Der Abschied des Matrosen“ (1923) gezeigt. Es deutet an, worauf er sich bald motivisch konzentrieren sollte: Männer, Uniformen, Erotik und komplexe Charaktere. Entstanden ist das Bild weitab vom Meer: in Berlin, wo Kolle seit 1922 mit seinem 25 Jahre älteren Freund, Förderer und Mentor Wilhelm Uhde lebte, einem Kunsthändler. Dieser organisierte Kolles erste Ausstellungen in Berlin und Dresden.

Seine charakteristische Formensprache, Komposition und Motivwahl entwickelte Kolle, der sich lange nicht zwischen Malerei und Dichtung hatte entscheiden können, in Paris: Nach Frankreich zog das Paar 1924. Nicht zuletzt durch seinen Partner war Kolle mit klassischen und avantgardistischen Kunstströmungen gleichermaßen vertraut. Er selbst verfolgte jedoch keine bestimmte Richtung. Schon in Berlin faszinierten ihn Boxer, Radrennfahrer und andere Sportskanonen, wodurch er seine Lungen- und Herzleiden kompensiert haben dürfte: Sich selbst malte er als angriffslustigen Boxer mit freiem Oberkörper oder als vornehmen Aristokraten im knallroten Jagdrock.

Kolles Männer stehen, sitzen, liegen häufig vor nachtblauen oder erdfarben dunklen Hintergründen und sie kommen nicht als stumpfe Muskelprotze rüber: All die Toreros, Jockeys und anderen schlanken, durchtrainierten, erotisch dargestellten Typen scheinen sich ihrer Macht kritisch bewusst zu sein. Er zeigt sinnierende Kerle und vereinfachte zusehends deren Formen, stellte Körperteile wie Glieder einer Marionette dar, trug die Farben dick auf und ritzte die Konturen nach, so dass die Figuren teils geradezu dreidimensional wirken.

Seine modernen, reflektierenden Charaktere in Öl kamen an: Sammler, Galeristen und Museen kauften Kolles Bilder, stellten ihn aus. Pablo Picasso lobte die „unerhörte Vitalität“ – eine Begeisterung für einen Deutschen, in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg nicht selbstverständlich. Genießen konnte Kolle sie nur kurz, ab Ende der 20er Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Seine unvollendete letzte Arbeit, „Junger Mann mit Sixpence-Mütze“ (1931) beschließt die Hamburger Ausstellung. THOMAS JOERDENS

bis 25. September, Hamburg, Ernst Barlach Haus