weinprobe
: Ursprünglichste Form & lebendiger Nerv

2005 Sancerre „Clos de Beaujeu“, Gérard Boulay (Chavignol/Sancerre)

Dass jeder Sancerre obligatorisch ein Sauvignon blanc ist, verschweigt man im Falle des Crus von Gérard Boulay besser, denn die zumeist auf vordergründige Fruchtaromen getrimmte Favoritensorte modernen Lifestyles kommt hier in ihrer ursprünglichsten Form ins Glas. Der auf lehmigen Kalkböden mit fossilen Ablagerungen des Kimméridgien gewachsene Sancerre der dem gleichnamigen Dorf gegenüberliegenden Einzellage Beaujeu sprengt alle Klischees dieser weltweit angebauten Sorte und ist weit mehr Ausdruck seiner von Natur und Naturmensch geprägten Herkunft als ein Angebot an Tuttifruttitrinker. Frisch und pikant in seinem dezent an Limetten, Blütenhonig und Nüsse erinnernden Bukett, erweist sich der in gebrauchten kleinen Eichenfässern vergorene und über ein Jahr auf der Hefe ausgebaute kraftvolle Weißwein am Gaumen als überaus reichhaltig, tiefgründig und kompakt, seine volle, reife Frucht liegt vornehm auf einem dicht gewirkten mineralisch-pikanten Teppich, in den sich auch die Säure elegant einwebt. Dieser Sancerre ist ein großer, lang anhaltender Wein der absoluten Spitzenklasse, den man vor Genuss zwei Stunden dekantieren oder acht bis zehn Jahre wegsperren sollte. Einem großen Burgunder ähnlich, degradiert dieser so individuelle Wein von der Loire 95 Prozent aller Sauvignon blancs dieser Welt ganz nebenbei zu schnöden Mai-Bowlen.

23,40 Euro über Vin sur Vin Diffusion, Heimstraße 17, 10965 Berlin, Tel. (0 30) 69 51 99 20, Fax 69 51 99 21, info@weine-visentin.de

2003 Lagrein „Morus“, Weingut H. Lentsch (Branzoll/Südtirol)

Wenn diese Rubrik zwei Mal Weißweine vorgesehen hätte, dann wäre hier von einem herausragend aromatischen, im besten Sinne blumigen Goldmuskateller zu berichten, nämlich dem porentief reinen, perfekt ausgereiften und mineralischen 2006er Muskateller. Glücklicherweise ist der zu den besten Südtiroler Weißweinen dieser uralten Sorte zählende Muskateller zwar ein solitärer Weißwein der Tenuta H. Lentsch, nicht aber der einzige Wein, den Hartmann und Klaus Lentsch erzeugen. Der ganze schöne Rest des 12 Hektar Reben bewirtschaftenden Familienguts an der Unteretsch trägt rote und tiefrote Sorten: Merlot, Cabernet, Vernatsch und – Lagrein, Südtirols ureigene und großartigste Rotweinsorte. Der samtige, in großen und kleinen Holzfässern ausgebaute 2003er Lagrein Morus, benannt nach den hier noch in den 1940er-Jahren kultivierten Maulbeerbäumen (Morus Nigra), verbindet seine klare, an Kirschen, Waldbeeren, Veilchen und Gewürze erinnernde Frucht mit einer – zumal für diesen außergewöhnlich heißen und trockenen Jahrgang – faszinierenden Finesse und animierenden Saftigkeit, so dass dieser körperreiche, zu dunklem Fleisch passende Wein in keiner Weise schwerfällig oder süßlich wirkt. Der behutsame, sich alle Zeit der Welt nehmende Ausbau sowie die typischen vulkanischen Porphyrböden Südtirols verleihen dem spät reifenden Lagrein einen unnachahmlich lebendigen Nerv, der seine Frucht ebenso unterstützt wie den festen Willen, es bei einer Flasche nicht bewenden zu lassen.

13,40 Euro bei Enoteca Blanck & Weber, Ludwigkirchstraße 11, 10719 Berlin, Fax (0 30) 88 67 99 61, Fon (0 30) 88 67 99 60, mail@enoteca-blanck.de STEPHAN REINHARDT