Auf der Schattenseite der Akropolis

GRIECHENLAND Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge zahlen hohe Summen, um in die EU zu gelangen. Das schaffte auch der Pakistaner Tahir. Doch Migranten sind in Krisenzeiten nicht mehr gern gesehen

■ Das Anti-Folter-Komitee des Europarats hat Haftbedingungen für Migranten in Griechenland gerügt. Es gebe gravierende hygienische Mängel, Gefängnisse seien überfüllt, und Häftlinge würden durch Polizeibeamte misshandelt, so das Komitee in einem am Donnerstag in Straßburg veröffentlichten Bericht über einen Besuch im April 2013. In einer Polizeistation etwa seien mehrere Frauen monatelang in einem 5 Quadratmeter kleinen, dunklen, verschimmelten und baufälligen Keller gesperrt worden. (kna)

AUS ATHEN THEODORA MAVROPOULOS

Tahir kam vor acht Jahren aus Pakistan nach Griechenland. „In meinem Land lebten meine Eltern, meine drei Geschwister und ich in bitterster Armut“, erzählt der hagere 30-jährige Mann, als er sich das erste Mal nach Monaten wieder mit einem Freund auf einen Kaffee im Zentrum Athens trifft. „Eigentlich gehe ich nicht aus, denn ich will so viel Geld wie möglich an meine Familie schicken“, sagt Tahir in gebrochenem Griechisch.

4.500 Euro hatten Tahirs Vater, der Bruder seiner Mutter und Tahir selbst zusammengetragen – so viel verlangten die Schlepper, die den jungen Mann damals von Pakistan über den Iran und die Türkei nach Griechenland brachten. Einen Großteil der Strecke musste Tahir zu Fuß bewältigen. Wasser und Essen gab es kaum, erzählt er. Die Hoffnung, in Griechenland würde alles besser sein, hielt ihn aufrecht.

Jetzt besitzt Tahir vorläufige griechische Papiere. Langsam rührt er den Zucker in seinem Kaffee. In den ersten Jahren habe er immer Arbeit gefunden, erzählt er. Die meisten Arbeitgeber waren zwar nicht besonders freundlich, die Bezahlung nie gut. „Doch in den letzten zwei Jahren ist es immer schlimmer geworden.“ Nachdem die neofaschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) nach den Wahlen im Juni 2012 drittstärkste Partei wurde, sei der Alltag für Migranten in Griechenland unerträglich geworden.

Vor einem Jahr arbeitete Tahir als Auffüller von Gasflaschen in einem Unternehmen in Athen. Die Arbeitsbedingungen: keine Versicherung, keine Urlaubstage, weit mehr als acht Stunden Arbeit pro Tag und keine Wochenenden. 550 Euro pro Monat wurden als Bezahlung vereinbart. Doch nach dem ersten Monat gibt der Besitzer ihm nur 500 Euro. „Tun konnte ich nichts, ich bin ja nirgends abgesichert“, sagt er. Leute wie er seien froh, überhaupt bezahlt zu werden.

Einen Monat später feuerte ihn der Besitzer plötzlich ohne weitere Bezahlung. „Ich widersprach. Daraufhin schlug er mich zusammen und drohte damit, die Chrysi Avgi zu holen, wenn ich noch einmal herkäme.“ Terroranrufe folgten, berichtet er. „Ich konnte manchmal vor Angst kaum schlafen. Die Anrufer sagten mir, dass sie mir die Kehle durchschneiden wollen.“ Tahir erstattete Anzeige wegen Körperverletzung – bis heute wurde kein Verfahren gegen seinen ehemaligen Chef eingeleitet.

Tahir senkt seinen Blick. Sein Vater ist im letzen Jahr gestorben. Sehen konnte er ihn nicht noch einmal, da seine Papiere ihm eine Wiedereinreise in die EU nicht gestatten. „Ich bin jetzt allein verantwortlich für meine Familie – und deshalb muss ich hier arbeiten. In ein anderes EU-Land mit besseren Arbeitsbedingungen darf ich mit meinen Papieren nicht.“

Javet Aslam, Vorsitzender der Gemeinde „Pakistanis in Griechenland“, bestätigt die Vielzahl gewalttätiger Vorfälle gegenüber Migranten. „Die meisten Einwanderer werden hier wie Tiere behandelt“, so Aslam. Über 40 Prozent von ihnen arbeiteten schwarz. Wenn sie keine Papiere hätten, könnten sie nicht zur Polizei gehen. „Doch auch diejenigen, die zur Polizei gehen, werden meist ignoriert.“ Zwar wurde ein Antirassismusgesetz verabschiedet, das die Diskriminierung von Ausländern unter Strafe stellt – in der Praxis werden die Rechte der Einwanderer jedoch nicht geachtet. Tahir und sein Freund trinken den letzten Schluck aus ihren Kaffeetassen. Es war ein schöner Nachmittag, doch so langsam dämmert es. Sie müssen schnell nach Hause. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die beiden schon lange nicht mehr unterwegs.