berliner szenen Eine Stunde Höflichkeit

Gerda Bey

Pädagogisch wertvoll sind die Tische aufgebaut, in Hufeisenform. So kennt man das sonst nur von Elternabenden. Heute aber wird nicht über die Klassenfahrt in die Mark Brandenburg – Handys mitnehmen erlaubt: ja oder nein? – oder das Frühlingsfest der Kita – wer macht welchen Salat? – verhandelt. Heute lernen wir Türkisch.

Lektion 1: Bei der Anrede einer Frau stellt man im Türkischen dem Vornamen das Wort Hanim nach. So wird aus einer Frau Müller eine Julia Hanim. Neben ihr sitzt Bernd Bey. Er hat nicht so ganz verstanden, dass die Übersetzung für Bey Herr ist, und besteht darauf, seine andere Sitznachbarin Gerda Bey zu nennen. Diese ist gerade abgelenkt und erzählt, dass sie aus romantischen Gründen die Sprache lernen möchte: Sie ist in ihren türkischen Nachbarn verliebt. Zwei Lehramtsstudentinnen erklären, dass sie Türkischkenntnisse für die Karriere für praktisch halten. Und Nina mag türkisches Essen echt gern. Ganz gleich was die Motivation ist: Zuerst lernen wir die Begrüßung.

Weil die Aussprache schwer ist und wir sehr höflich sind, begrüßen wir uns eine Stunde lang. Als das Alphabet drankommt, ist die Hauptschwierigkeit, das I auszusprechen. Ein i ohne i-Punkt, das als eine Art hessischer Laut des Erstaunens zu beschreiben ist und wegen seiner klanglichen Nähe zu einem Stöhnen Hemmungen auslöst. Die Dozentin macht es vor und wir wiederholen im Chor, erst zögerlich, dann aus vollem Hals.

Nach dem Unterricht auf dem Weg zur Bahn bringt die Abendluft Entspannung für die heiß gelaufenen Stimmbänder. An der Station fragen mich Touristen nach dem Weg zu irgendeiner Bar. „Bilmiyorum“, sage ich und zucke mit den Schultern.

LENA HACH