Das tödliche Tabu

BEHANDLUNG Südafrikas Regierung hat in den vergangenen Jahren viele Aufklärungskampagnen durchgeführt. Auch mit Erfolg. Doch nicht alle Botschaften erreichen alle Zielgruppen

„Die Regierung lässt die im Stich, die HIV-infiziert sind und Medikamente brauchen“

SIBONGILE PRISCILLAR KHUMALO, TREATMENT ACTION CAMPAIGN (TAC)

AUS JOHANNESBURG MARTINA SCHWIKOWSKI

Aus der Distanz sieht das kleine Hospital aus wie ein verlassenes altes Haus. Aber die roten Steinmauern und ein Blechdach halten die Tsakane-Klinik zusammen. Der Rasen ist nicht geschnitten, der Kinderspielplatz schmutzig. Patienten stehen draußen vor dem Eingang und Händler lungern überall herum, um Essensrationen zu verkaufen. Rund fünfzig Kranke warten schon morgens auf Behandlung. Die meisten haben keinen Job. Sie werden hin und her geschoben, Krankenschwestern messen Blutdruck. Der Arzt kommt nur einmal am Tag für zwei Stunden.

„Die Regierung lässt die Menschen im Stich, die HIV-infiziert sind und Medikamente brauchen“. sagt Sibongile Priscillar Khumalo. Die schlanke, 34-jährige Frau steckt voll Energie, spricht freundlich und behutsam mit den Patienten, die das HI-Virus in sich tragen. Sie arbeitet für die Anti-Aids-Lobbygruppe Treatment Action Campaign (TAC) in dieser Klinik im Osten von Johannesburg. „Die Leute, die Anti-Aids-Medizin nehmen wollen, müssen erst auf Tuberkulose untersucht werden.“ Diese Tests dauern bis zu sechs Wochen. „Das bedeutet, manche sterben, schon bevor sie ihre Tabletten erhalten.“ Oft fehlt auch eine bestimmte Medikamentensorte, und Menschen, die sich nicht wohlfühlen, müssen weiter auf Hilfe warten, sagt Sibongile. „HIV-Patienten haben Husten, aber es gibt keine Medizin dafür.“ Kinder haben Durchfall, aber die Behandlung bleibt aus, weil Medikamente fehlen. Viele Menschen wissen auch nichts über die Immunkrankheit. Aids ist häufig noch ein Tabu, die Angst vor dem Stigma sitzt tief.

Phumzile Makgoko kennt das Problem – sie arbeitet als Freiwillige auch für TAC und berät Menschen, die sich für einen Aidstest entschieden haben. „Alles ist schwierig hier“, sagt sie. Die Regierung bezahlt nur wenig Geld für Berater, oft geht Phumzile auch leer aus. Meistens sitzt die junge Frau in einem kleinen Raum der Klinik, der für HIV-Infizierte vorgesehen ist. Die Situation ist frustrierend genug für die meisten Leute. „Nur eine Schwester ist für HIV-Patienten zuständig. Sie testet, und verordnet Medikamente. „Das ist zu viel für eine Person“, meint Phumzile. Ärzte arbeiten lieber im privaten Sektor, das stimmt wenigstens die Bezahlung.

Viele Patienten sind nicht nur unterversorgt, sondern auch depressiv. Nur wenige empfinden weder Schuldgefühl noch Scham. Makhosiwonke Mkhize ist eher eine Ausnahme: „Ich wollte letztes Jahr etwas Gutes für mich tun und ging zum Test – ich habe das Virus“, sagt eine Frau in der Warteschlange. „Ich habe es akzeptiert und sehe das wie jede andere Krankheit auch.“ Ihr Kind und ihre Familie haben sie auch mit HIV akzeptiert, einige Nachbarn jedoch nicht. Die Regierung solle sicherstellen, dass HIV-Infizierte nicht diskriminiert werden, fordert sie.

Südafrikas Regierung hat in den vergangenen Jahren viele Aufklärungskampagnen durchgeführt. Auch mit Erfolg. „Nicht alle Botschaften erreichen alle Zielgruppen in gleichem Maße“, meint Lucky Mkhondwane, Sprecher im Johannesburger TAC-Büro. Oft werden Analphabeten zu wenig beachtet, Prostituierte oder Homosexuelle, da könnte man noch gezielter arbeiten, sagt Lucky. „Die jungen Leute sind meistens aufgeklärt, und wir sehen weniger Ansteckungen bei Teenagern. Aber jetzt gibt es mehr Fälle bei den über 40-Jährigen, und immer noch ist eine von drei schwangeren Frauen infiziert.“

Obwohl das Land mit der höchsten Infektionsrate der Welt – 5,7 Millionen Menschen leben hier mit dem Virus – Fortschritte erzielt hat, bleiben die Erfolge hinter den Zielen zurück. In den vergangenen fünf Jahren sollten die Neuinfektionen um 15 Prozent reduziert sein. Doch immer noch stecken sich täglich 1.000 Menschen an. 80 Prozent der Patienten sollten mit Medikamenten behandelt werden. „Das haben wir nicht geschafft, obwohl zwei von zehn HIV-Patienten weltweit in Südafrika Medizin erhalten“, sagt Lucky. 1,5 Millionen Südafrikaner nehmen diese Medikamente. „Die Lage hat sich zwar stabilisiert, aber die Reduzierung der Ansteckungen ist nicht so signifikant, dass wir schon von einer Kehrtwende reden könnten.“

Nach anfänglich harter Kritik, die Aidskrise nicht schnell genug anzugehen, hat Südafrika spät Programme etabliert, die als die umfangreichsten und besten der Welt gelten. Es gibt Medikamente umsonst, die Mutter-zu-Kind-Übertragung des Virus ist zur Hälfte reduziert, und der derzeitige Gesundheitsminister arbeitet erfolgreich mit Lobbygruppen und Zivilgesellschaft zusammen. Dennoch fehlen in Kliniken außerhalb der großen Städte oftmals die Medikamente. „Die Herausforderung liegt in den Gemeinden, dort hapert es an der Umsetzung und Koordination“, meint Lucky.

Auf der 5. Nationalen Aids-Konferenz in Südafrika werden gerade Anregungen für den nächsten Fünfjahresplan diskutiert, der am Welt-Aids-Tag vorgestellt werden soll. „Wir müssen unsere Systeme stärken, bessere Überwachung und Auswertung von Ergebnissen ist notwenig“, sagt Lucky. „Wenn ich beim Gesundheitsministerium anrufe und Statistiken über Tests haben will, weiß keiner, was los ist.“