Bei Heiner auf dem Hocker

Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist der Antiglobalisierungsbewegung Attac beigetreten. Nicht dass wir es ihm nicht zugetraut hätten – aber nützt das auch der guten Sache?

JA

Er hat es getan. Nun also ist der ehemalige Minister im Kabinett Kohl und CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, der von Willy Brandt einst als „schlimmster Hetzer in diesem Land seit Goebbels“ geschmäht wurde, dieser gesellschaftliche Gleitschirmflieger, studierte Jurist und leidenschaftliche Jesuit, dieser Heiner Geißler also ist nun einer gewissen Gesellschaft beigetreten.

Was nicht berichtenswert wäre, handelte es sich dabei nicht um die ideologisch in höchstem Maße aufgeladene „Gesellschaft für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger“, im Original „Association pour une Taxation des Transactions financières pour l’Aide aux Citoyens“, vulgo: Attac.

Dort reiben sich nun manche die Hände, während andere sie über dem Kopf zusammenschlagen. Oskar Lafontaine war ja schon ein fragwürdiger Neuzugang. Aber Heiner Geißler?

Verwundern darf diese Entscheidung nicht. Auch ist sie nicht als „späte Läuterung“ zu verstehen – geschweige denn als umgekehrte Variante zu der vom unseligen Horst Mahler verkörperten Regel, wer ganz links anfange, der lande im Alter fast zwangsläufig ganz rechts.

Zur Erinnerung: Der „Unruhestifter in der CDU“ (Die Welt) engagierte sich schon gegen eine Catch-as-catch-can-Marktwirtschaft, als Neoliberale und Attac-Gründer noch gemeinsam die Schulbank drückten. Erfolglos putschte er gegen den Autokraten Kohl, propagierte schwarz-grüne Bündnisse und postulierte früh eine „multikulturellen Gesellschaft“ in Deutschland. Nun, bei Attac, geht es ihm um eine „humane Globalisierung“, was von Marxisten gerne als „guter Kapitalismus“ verächtlich gemacht wird.

Mit Blick auf den Zaun in Heiligendamm hat unlängst Attac-Organisator Werner Rätz erklärt: „In der Friedensbewegung hat es auch immer wieder Menschen gegeben, die solche Zäune überwunden haben.“ Auch Heiner Geißler hat – spät, aber immerhin – mit seinem beherzten Sprung einen Zaun zwischen zwei Lagern überwunden. Ob er dabei rechts oder links gelandet ist, spielt keine Rolle. Sein Sprung öffnet Attac für die Mitte.

ARNO FRANK

NEIN

Jetzt hat auch Attac seinen ehrwürdigen Erklärer. Die Globalisierungskritiker haben Heiner Geißler gebeten, sich ihnen anzuschließen und er hat es getan.

Die Sehnsucht nach großväterlichem Ratschlag ist enorm. Sie entrückte den bösen Papst und gab uns dafür den guten Hirten. Surreal erscheint die Zeit, als der Pontifex noch als absoluter Monarch bekannt war, der seine Untertanen mit dem Gebot des aidsfreundlichen Beischlafs dezimierte. Stattdessen: Begeisterung für die Altersmilde der Pauls und Benedikts, die auch dir und mir noch etwas raten können: zur Ehe, zur Familie und auch zur Globalisierung. Niemand fasste den Wunsch nach graubärtigem Weltwissen schlichter zusammen als die „leute heute“-Moderatorin Nina Ruge. Sie würde am liebsten nur noch „weisen alten Menschen“ lauschen.

Nichts gegen die Alten. Sie haben einen guten Sound, ohne die Platten der alten Herren Johnny Cash und Eric Clapton wäre die Welt ein wenig dunkler. Sie haben Stil, wie Helmut Schmidt. Wo auf der Skala von Johnny Cash bis zu Benedikt XVI. Wo Heiner Geißler einzuordnen ist, muss er noch zeigen. Aber er ist mit Cowboyhut derzeit eher vorstellbar als mit Mitra.

Doch egal mit welcher Mütze die Patriarchen sprechen, viele setzen sich wieder gern zu ihnen ans Kaminfeuer und lauschen, wenn sie die Welt erklären. Eigene Gedanken erscheinen so banal im sonoren Summen der Erklärerstimmen.

Wäre da nicht Attac. Wenn ein Außerirdischer auf die Erde käme und fragte: Was haben eigentlich die unter 40-Jährigen heute noch zu sagen, würden die wohl auf Attac zeigen. Die Globalisierungskritiker hatten nicht nur etwas zu sagen, sie fragten auch: Muss die Welt so sein, wie ihr sie uns erklärt? Deshalb galten sie erst als Irre, dann als Randalierer, und als immer mehr die gleiche Frage stellten, auch ein bisschen als Retter der Welt.

Inzwischen sind aus Fragestellern Zuhörer geworden. Die Bewegung ist müde und weiß nicht recht, wie es weitergehen soll. Darum erklärt von nun an Heiner Geißler. Attac hat sich einen Hocker geholt und sich zu den anderen an den Kamin gesetzt.

DANIEL SCHULZ