Grünen-Chef fordert Migranten-Quote

In Niedersachsen will Raimund Nowak die Partei stärker für Ausländer öffnen und dafür die Frauenquote opfern: „Von Zeit zu Zeit muss jede Quotierung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.“ Das stößt bei vielen Politikerinnen auf wenig Gegenliebe

Nach den Grünen beschloss 1988 auch die SPD eine 40-Prozent-Frauenquote für Ämter und Mandate. Die CDU wollte 1994 einen Muss-Anteil von einem Drittel einführen, scheiterte aber an inneren Widerständen. Seit 1996 gilt in der Union ein Frauen-Quorum, vor allem aber für parteiinterne Posten. Die FDP lehnt die Quote ab. Im Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst ist eine relative Quotenregelung enthalten: Stellen werden mit dem Zusatz versehen, dass bei gleicher Qualifikation Bewerberinnen bevorzugt werden. Im vergangenen Jahr wurde das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet, das Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts, der Herkunft und der Religion verhindern soll. In den 200 größten deutschen Firmen sitzen zur Zeit nur elf Frauen auf Vorstandsposten, bei den 30 im Deutschen Aktienindex notierten Großkonzerne ist es keine einzige.  TAZ

VON KAI SCHÖNEBERG

„Gleichstellung ist erst erreicht, wenn genauso viel unfähige Frauen wie Männer in den Vorständen sitzen.“ Den Satz der einstigen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland zitiert Ursula Helmhold dieser Tage öfter. Helmhold ist nicht nur stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag. Die Frauenpolitikerin soll auch bald den ersten Listenplatz für die Landtagswahl im Januar zieren. „Eins ist bei uns der Frauenplatz und fertig“, sagt Helmhold. Dass das der Chef der Landespartei, Raimund Nowak, nun anders sieht, findet sie eine „seltsame Idee“, wenn nicht sogar „schon ein bisschen abwegig“.

Nowak hatte vor kurzem einen Vorschlag gemacht, der an einem der Heiligtümer der Grünen rüttelt: Mann – und auch Frau – solle ruhig mal darüber „nachdenken“, ob die Frauenquote der Partei noch zeitgemäß sei. Und ob man sie nicht besser durch eine Migrantenquote ersetzen sollte, um die Grünen für Ausländer zu öffnen. Ist Frauenpolitik unmodern oder sogar „wenig sexy“ geworden? So hatten es die Grünen unlängst selbst für eine frauenpolitische Diskussion formuliert.

Auf zu neuen Ufern, meint Nowak. Seit ihrer Gründung 1979 haben die Grünen eine Quotenregelung in ihrer Satzung. Danach muss heute auf sämtlichen Parteiebenen und bei der Aufstellung von Wahllisten jeder zweite Kandidat weiblich sein. Mittlerweile fordert die Partei sogar Geschlechterquoten für Aufsichtsräte von Unternehmen und bei Neueinstellungen im öffentlichen Dienst.

Angesichts der laufenden Integrationsdebatte hält es Nowak für sinnvoll, Migranten gezielt zu fördern. Zur Zeit haben von 4.500 Grünen-Mitgliedern in Niedersachsen etwa 200 einen Migrationshintergrund. Viel zu wenig, findet Nowak. Parteikollegen verweisen auf einen Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Hannover vor 4.000 Landsleuten. Und schlussfolgern, dass auch die oft als unpolitisch wahrgenommenen Einwanderer durchaus politisch seien – wenn man sie nur direkt anspreche. Bereits bei der Kommunalwahl im September plakatierten die Grünen eine „Frau mit Migrationshintergrund“ mit dem Slogan „Ich will mal Schützenkönigin werden“.

Viele Männer in der Partei können dem Vorschlag Gutes abgewinnen. Unter der Hand sagen sie aber, dass die Quote zwar viele gute Frauen in die Politik gebracht habe, aber eben auch viele Quotenfrauen. Nein, Nowak will seine Initiative um Himmels willen nicht als Macho-Beitrag verstanden wissen. Ihm geht es nicht um den Rollback zu Eva Hermans Eva-Prinzip, sondern darum, die Partei für neue Wählerschichten attraktiv zu machen.

Dass er provoziert, ist dem Grünen-Chef klar. Dennoch: „Von Zeit zu Zeit muss jede Quotierung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden“, findet er. Außerdem bevorzugten die bestehenden Regelungen Männer indirekt. Es gilt nämlich unter den Partei-Frauen nicht als p.c., auf einem „Männerplatz“ zu kandidieren – obgleich er prinzipiell beiden Geschlechtern offen steht.

„Die Frauenquote ist gesellschaftlich nötig“, findet hingegen Ursula Helmhold. Außerdem sei sie gegenüber anderen Parteien „ein Pfund, mit dem wir wuchern können“. Sie hält es für problematisch, eine Migrantenquote umzusetzen: Wer gelte wann als Migrant? Der Landesvorstand der Partei sortierte Nowaks Idee am Mittwoch auf Ablage P. Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel sagte, die Frauenquote sei „eine Identitätsfrage seiner Partei“.

„Wir sind doch schon die Quotenkönige“, meinte die grüne Landtagsabgeordnete Filiz Polat. Ja, es gebe ein Defizit bei der Teilhabe von Ausländern am politischen Leben. Allerdings gelte bei der Listenaufstellung für den Landtag auch das Prinzip, dass jeder dritte Platz an einen Parlamentsneuling gehen muss: „Eine Migrantenquote ist nicht praktikabel: Dann hätten wir zu viele Quoten.“ Dabei könnte die Deutsch-Türkin selber von der Regelung profitieren.