RACHSUCHT IST EIN ZENTRALES MOTIV DER POLNISCHEN REGIERUNG
: Intellektuelle in Angst

700.000 Polen wissen nicht, was sie tun sollen: die Stasi-Spitzel-Erklärung unterschreiben oder nicht. Sie haben Angst. Und genau darum geht es der polnischen Regierung. Diejenigen, die nicht wissen, ob sie ab morgen ihren Beruf verlieren oder öffentlich als Verräter gebrandmarkt werden, sind fast alles Intellektuelle: Hochschullehrer, Journalisten, Juristen. Kaum jemand von ihnen hat die KaczyńĽski-Brüder und ihre rechtspopulistische Partei, die „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), gewählt.

Dafür rächten sich die Kaczyńskis mit dem Lustrations- oder Durchleuchtungsgesetz. Diejenigen, die sich dazu bekannten, irgendwann einmal etwas unterschrieben zu haben, und sei es nur, um ins Ausland reisen zu dürfen, sollen in einer öffentlichen Agentenliste bloßgestellt werden. Die anderen, die gar nicht oder falsch antworteten, sollen fristlos entlassen oder mit zehn Jahren Berufsverbot bestraft werden.

Rache ist das Grundmotiv der derzeitigen Politik Polens. Da das Verfassungsgericht mit seinem Urteil am Freitag das Lieblingsgesetz der KaczyńĽskis kassierte, müssen die Brüder nun die Rache an ihren politischen Gegnern auf später verschieben. Doch Premier Jarosław Kaczyński nutzte gestern noch einmal seine Machtfülle, um den Verfassungsrichtern und den Intellektuellen Polens seine ganze Verachtung zu zeigen. Gestern nämlich lief die Abgabefrist für die Lustrations-Erklärungen aus. Seit Freitag ist klar, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Gültig wird das Urteil aber erst, wenn es im Gesetzesblatt publiziert wurde. Statt nun also das Urteil sofort an die Staatsdruckerei weiterzuleiten, verkündet Kaczyński, dass er zuvor noch so viele andere Gesetze abzeichnen müsse und darüber der Stichtag wohl verstreichen werde. Die Betroffenen müssen weiter zittern.

Gegen die Rachsucht der Kaczyńskis regt sich bisher kaum organisierter Widerstand. Die Intellektuellen erkennen zwar die Gefahr für Polens Demokratie, gehen aber noch nicht massiv dagegen vor. Die in Krakau entstandene „Bewegung für Demokratie“ ist nur ein Fähnlein der Aufrechten. Es herrscht Angst in Polen. GABRIELE LESSER