Ein Stück Inszenierung

Die Mülheimer „Stücke“ sind eines der interessantesten Festivals in NRW. Es geht um die Dramatiker, nicht um die Theater-Regisseure. Ganz anders ist es nur bei Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek

VON PETER ORTMANN

„Warum muss in dieser Lügenanstalt alles Wahrheit sein“, fragt Rene Pollesch durch den Mund von Schauspielstar Martin Wuttke. Gemeint war das Theater mit „seinen Geschichten, die wir bewohnen müssen.“ Der Mülheimer Dramatikerpreisträger des vergangenen Jahres (für „Cappuccetto Rosso“) hatte noch eine Rechnung mit den „Stücken“ offen, die er als Auftakt des NRW-Festivals der Theatertexte mit einem neuen Text beglich. „Wenn man nichts mehr zu sagen hat als den Konsens, dann sollte man sich in die Luft sprengen“, hieß es darin. Vielleicht war es das Statement zur deutschsprachigen Theatersituation.

Um Sprengkraft ging es auch auf der Bühne beim ersten Stück der „Stücke“. Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek setzt zwei große historische Frauendispute in Beziehung. Maria Stuart gegen Elisabeth I. und Ulrike Meinhof gegen Gudrun Ensslin. „Ein typischer Dramaturgeneinfall ist das“, sagt Regisseur Nicolas Stemann dazu. Riesengroß prangt bei ihm das Logo der RAF über der Bühne. Dennoch geht es eher um Angst der Protagonisten und die Ritualisierung der Gewalt, die sich selbst ironisiert. Jelineks Text gilt als nicht veröffentlicht und ist eigentlich ein fließender Sprachstrom, den Stemann gekonnt in eine eigene Art von Leander Haußmannschem Spaßtheaterform gießt. Das Stück „Ulrike Maria Stuart“ realisiert sich auf der Bühne selbst. Die Sätze sind das Material. Ohne Inszenierung bleiben sie leblos. So unterläuft Jelinek Text-Schemata, aber auch die Ausschreibung um den Mülheimer Dramatikerpreis. Hier sollen nämlich nicht die jeweiligen Inszenierungen im Vordergrund stehen.

Nachdem die Bühne in ein Tollhaus verwandelt wurde und Andreas Baader seinen Prolog (Regieanweisung) gesprochen hat, geht es in der Stadthalle traditionell zur „Stücke“-Diskussion. Das RAF Thema polarisiert, also ist es brechend voll. Die Frage, wie die Jugend heute umgehen soll mit „Schleyer und Konsorten?“ findet immer noch ältere Herren, die sich für den so genannten Ausbeuterstaat in die Bresche werfen. Doch der aktuell hochgekochte Disput um die Aufarbeitung des so genannten deutschen Herbst hat nichts mit dem Stück zu tun. Stemann hat es bereits vor über einem Jahr inszeniert, hat aber auch Mühe, die aktuelle Nachrichtenlage zu ignorieren und muss sich gegen Weichmacherei und Entpolarisierung wehren. Das hat eigentlich bei den „Stücken“ nichts verloren und zurecht lässt er die Kritik nonchalant ins Leere laufen.

Heute gehen die 32. Mülheimer Theatertage, das Forum deutschsprachiger Gegenwartsdramatik, mit „Schwarze Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel weiter. Die zehn Monologe, aus denen „Schwarze Jungfrauen“ besteht (von denen in der Uraufführungsinszenierung am Berliner Hebbel Theater fünf verwendet wurden), basieren auf Interviews, die das Autorenduo mit jungen Musliminnen in Deutschland geführt hat. Und mit denen ist nichts zu spaßen: „Was schaut ihr mich an? Ihr Tetrapackfresser, Pilzmaden, Pornonutten.“ Die fünf Frauen verweigern sich radikal einer westlichen Kultur, die sie permanent in Rollenbilder zwängen will. Der Islam produziert den nächsten deutschen Herbst? Auch hier wird es im Mülheimer Kammermusiksaal sicher wieder viel Diskussionsbedarf beim interessierten Publikum geben.

19:30 Uhr, Stadthalle/ Foyer Infos: 0208-9409610 Noch bis 02. Juni 2007 Programm: www.stuecke.de