In Syrien verschwunden

Niemand weiß, wo Amina Arraf festgehalten wird. Die nüchternen Sätze, die sie in einem ihrer letzten Blog-Einträge hinterlassen hat, klingen nun umso düsterer nach: „Ich schneide meine Fingernägel kürzer als je zuvor,“ so schrieb sie am Sonntag, „für den Fall, dass ich verhaftet werde und sie versuchen, sie herauszureißen.“

Ihre freimütigen, oftmals witzigen Gedanken hielt Amina Arraf, 34, in ihrem Blog „Damascus Gay Girl“ fest. Sie schreibt darin über die Massenproteste, die vor rund drei Monaten in Syrien ausbrachen, aber auch über ihren Alltag als lesbische Frau in einem arabischen Land.

Am Montag wurde die Bloggerin nach Angaben ihrer Cousine Rania Ismail verschleppt. Es war etwa 18 Uhr, Amina Arraf war auf dem Weg zu einem Treffen mit einem anderen Regimegegner, als drei Männer sie in der Nähe des Abassid-Busbahnhofs in Damaskus ergriffen. Die Cousine gibt den Bericht einer Augenzeugin auf Arrafs Blog wieder: „Die Männer waren bewaffnet. Einer von ihnen legte seine Hand über ihren Mund, und sie stießen sie in einen roten Dacia Logan.“

Die Familie setzt alles daran, herauszufinden, wohin die junge Frau gebracht wurde. Eine Sisyphosaufgabe in einem Land mit 14 Geheimdiensten. Die Sicherheitskräfte arbeiten derzeit mit äußerster Härte daran, die Proteste zu ersticken. Rund 1.200 Menschen sind bereits gestorben, mehr als 10.000 wurden verhaftet. „Wir wissen nicht, wer sie hat“, schreibt die Cousine, „also wissen wir auch nicht, wen wir fragen sollen, um sie zurückzukriegen.“

Mit ihrem Blog hat Amina Arraf viel Aufsehen erregt, in ihrem Land und weit darüber hinaus. Mit ihrer eigenwilligen Mischung aus Humor, Politik, Lyrik, Religion und Sexualität brach sie so ziemlich jedes Tabu in Syrien. Ihr muss klargewesen sein, dass sie ins Visier der Geheimdienste geraten ist. Dass sie neben dem syrischen einen amerikanische Pass hat, dürfte ihr dabei nicht helfen.

Vor einigen Wochen war sie untergetaucht. Ihre Kritik an der Regierung wurde indes immer direkter, schärfer. „Sie müssen gehen, sie müssen bald gehen“, schrieb sie zuletzt, „das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.“GABRIELA M. KELLER