agenda 2010
: Untote mit Geburtfehler

PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Am liebsten wäre er noch Freak, ist aber wohl eher Untoter.

Ans Bett heran tritt da die Mutter,

hebt das Leichentuch ganz sacht

Von bittrem Schmerz entseelt

sinkt sie dann nieder, man gräbt für zweie dann ein Grab.

Nun es war ein junger Krieger, den Witthüser & Westrupp da 1970 in unserem Ohr besangen. Irgendwie ist mir der Text dieses Liedes nie aus dem Langzeit-Gedächtnis entschlüpft. Das mag daran liegen, dass mir damals schon dunkle Lieder von Vampiren und Toten, Bowie, oder Paranoiden beim schwarzen Sabbath mehr sagten als Zucker im Kaffee oder endloses Panflötengedudel über den blöden Anden-Kondor. How was my Make-Up, Andy? Ein früher Grufti bin ich dennoch nicht geworden.

Die letzte Zeile im Witthüser & Westrupp-Lied könnte wie angegossen auf das kommende tolle Jahr 2010 passen. Denn wie man es auch dreht und wendet, oder heute bereits glaubt, hofft und windet, dieses Kulturhauptstadtjahr wird ein Schicksalsjahr fürs künstlerische Ruhrgebiet. Danach wird nichts mehr so sein wie vorher. Dass die verbrauchten Event-Tickets mit dem limitierten Kulturhauptstadt-Logo-Aufdruck bei Internet-Versteigerungen dann Höchstpreise erzielen, wage ich mit epistemischer Logik jetzt schon zu bezweifeln.

Im kalten Grab werden neben der finanziell ausgepressten Region auch ihre längst entseelten Künstler liegen. Und die Kinder werden zur Beisetzung böse auf ihren neuen Instrumenten klimpern. Denn wie wird es dann so schön heißen: Die Politiker machten selbst die Kunst. Dummerweise ist 2011 die Show vorbei. Da geht es dann eher schnöde um eine gemeinsame Umlage der Ruhrgebietsstädte für die Instand- und Betreiberkosten von Industriekulturdenkmälern.

Jede Euphorie wird dann im jeweiligen kommunalen Etat-Hochofen wieder geschmolzen sein. Das sei nur ein Beispiel von vielen, aber alle werden Künstler zwangsläufig böse treffen. Höchste Zeit fürs Umdenken. Schon heute füllen sich die Wolken über dem Revier mit schwerem Wasser. Schon jetzt beklagen Kulturschaffende fehlende Unterstützung und finanzielle Förderung für die kommenden zwei Jahre. Alles werde dem Ziel Kulturhauptstadt untergeordnet. Das soll der angestrebten kulturelle Umbau der Region sein? Oder nur noch Förderung für Projekte mit Kindern und Jugendlichen oder für Gruppen mit Migrationshintergrund? Das doch wohl auch nicht. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird für Paranoide oder Untote, die dummerweise auch noch Kunst, Musik oder Literatur schaffen und deren Eltern hier im Ruhrgebiet geboren wurden, nur noch ein Bett im Kornfeld oder der Freak out in a Moonage Daydream übrig bleiben. Vielleicht schauen wir in den kommenden zwei Jahren lieber den Kommunen besser auf die Finger.

PETER ORTMANN