„Feminismus ist Freiheit“


AMY RICHARDS, Jahrgang 1970, US-Autorin, ist Mitbegründerin der Third Wave Association, einer Organisation für junge Feministinnen.

In den USA ist der Feminismus wieder in. Junge Frauen suchen neue Formen der Emanzipation. „Sie haben es satt, gesagt zu bekommen, wie sie als Feministin zu sein haben“, so Amy Richards von der „Third Wave Foundation“. „Sie engagieren sich in Frauenprojekten oder Nicht-Regierungs-Organisationen“

INTERVIEW ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Frau Richards, „Ich bin Feministin“, ist das ein Satz, den junge Amerikanerinnen gerne von sich sagen?

Amy Richards: Menschen jeden Alters haben ein Problem mit dem Wort „Feminismus“. Es ist so machtvoll, das verschüchtert viele. Ich sehe eher junge Frauen, die von sich selbst denken, sie seien nicht stark genug, um Feministin zu sein. Das sind zum Beispiel die, die es eben toll finden, von ihrem Freund zum Valentinstag ein riesengroßes Herz geschenkt zu bekommen. Sie glauben, so etwas disqualifiziere sie, eine Feministin zu sein. Andere haben auch schlicht Angst, die Verantwortung zu übernehmen, die mit dem Label Feministin einhergeht. Aufzustehen, wenn man beobachtet, wie in der U-Bahn jemand rassistisch angemacht wird, sich einzuschalten, wenn jemandem Unrecht getan wird. Mit Feminismus geht das Versprechen einher, diese Dinge nicht zu ignorieren.

Sagen Sie damit, dass es unter jungen Frauen in den USA gar keine schlechten Gefühle hinsichtlich Feminismus gibt?

Natürlich gibt es schlechte Gefühle. Aber die rühren meist daher, dass diese Frauen es satthaben, gesagt zu bekommen, wie sie als Feministin zu sein haben. Ich bin immer wieder bei Konferenzen, wo der halbe Saal voller junger Leute ist und das Thema der Konferenz lautet: Warum interessieren sich die jungen Frauen nicht für Feminismus? Die Jungen haben vielleicht gerade draußen eine Demo organisiert und 1.000 Dollar für ein Frauenprojekt gesammelt und haben eben irgendwann die Nase voll, so übersehen zu werden. Nicht das Thema Feminismus frustriert junge Frauen, sondern die Leute, die ihnen sagen, es gibt nur einen richtigen Feminismus.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich auch künftige Frauengenerationen durch Feminismus inspirieren lassen. Ich sehe das an den Unis und im Internet. Viele Frauen wenden sich an meine Internetseite „Ask Amy“ mit frauenbezogenen Fragen – und sind sich gar nicht mal bewusst, dass sie feministische Fragestellungen haben.

Einige dieser jungen Frauen immerhin könnten ja jetzt eine neue weltanschauliche Heimat finden. Die von Ihnen mitgegründete Third Wave Foundation wurde zur Namensgeberin einer Bewegung junger, politisierter Frauen – in den USA heute heute „Dritte Welle des Feminismus“ genannt. Was unterscheidet sie von ihren Vorgängerinnen?

Zur ersten Welle gehörten die Abolitionistinnen, die gegen die Sklaverei ankämpften, und die Suffragetten, die für ein Frauenwahlrecht eintraten. Der zweiten Welle ging es vor allem um rechtliche Gleichstellung, um gleiche Chancen und das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung. Diese Ziele sind aber noch nicht ganz erreicht. Insofern ist der Begriff „Dritte Welle“ etwas voreilig. Wir wollen den jungen Frauen nun die Mittel an die Hand zu geben, mit denen sie sich und ihren feministischen Forderungen besser Gehör verschaffen können.

Das klingt nach einer Bewegung, die weniger große Theorien im Sinn hat, sich aber umso mehr dafür interessiert, wie sie das Erreichte anwenden kann.

Wir Frauen sitzen mittlerweile in Aufsichtsräten. Aber gleichgestellt sind wir noch lange nicht. Meist liegt es weniger an den Arbeitgebern, sondern an unseren eigenen Familien und am Umfeld. Die Generation von Betty Friedan musste dafür kämpfen, überhaupt reingelassen zu werden in die Parlamente, Chefetagen und Universitäten. Heute sind wir drin. Aber die Frage ist oft: Hat sich die jeweilige Institution wirklich verändert oder ist sie im Kern sexistisch geblieben?

Was macht denn die Dritte Welle genau?

Junge Leute haben sich längst von den konventionellen Formen des politischen Engagements abgewandt. Also von Parteien, Wahlen und auch vom klassischem Lobbyismus. Sie sind nicht weniger politisch, aber sie nutzen andere Formen, das zu äußern. Die Third-Wave-Stiftung zum Beispiel schult und finanziert junge Frauen, die eine Nichtregierungsorganisation gründen wollen oder im Non-Profit-Bereich Frauenprojekte durchführen wollen. Wir können uns vor Anträgen gar nicht retten. Für junge, kritische Leute gibt es wenig Ressourcen.

In den USA, dem Mutterland des Feminismus, ist es unter jungen Müttern üblich, den Job zu kündigen, solange die Kinder noch klein sind. Was sagt das über den Erfolg von hundert Jahren Feminismus aus?

Ich sehe das so: Heute haben Frauen die Wahl. Viele sind froh, wenn sie dank der Familie mal Pause von ihren harten, ungeliebten Jobs machen können. In Friedans Generation hatten weiße Mittelklasse-Frauen diese Wahl gar nicht erst.

Sie sind also zufrieden mit der US-Gesellschaft, in der immer noch über 90 Prozent der Hausarbeit und Kinderpflege von Frauen erbracht wird?

Heute gibt es doch wirklich die Freiheit der Wahl. Das ist ein großer Erfolg. Es ist ja so, dass die Frauen oft die Kontrolle über die Kindererziehung nicht abgeben wollen. Und das wollen sie so lange nicht, wie sie in ihren Jobs nicht völlig anerkannt werden. Am zufriedensten, das zeigen alle Umfragen, sind Frauen, die es schaffen, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Wir müssen weiterhin Druck auf Arbeitgeber und Unternehmen ausüben, um Flexibilität flächendeckend zu ermöglichen.