Brasilianer bremsen Benedikt

Nach Aufregung um seine Abtreibungsäußerungen übt sich der Papst in Brasilien in zurückhaltender Verwunderung und predigt Keuschheit und soziales Engagement. Präsident Lula findet Benedikt zwar „sehr deutsch“, aber netter als erwartet

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Vor dem noblen Benediktinerkloster mitten in São Paulo, der derzeitigen Bleibe des Papstes, hat Priester Júlio Lancelotti ein Transparent in deutscher Sprache aufgespannt: „Heiliger Papst Benedikt“, heißt es da, „wir Obdachlose warten auf Ihren Zuspruch, denn wir werden wie Abfall behandelt.“ Die 12.000 Straßenbewohner der Megametropole würden immer mehr schikaniert, sagt der streitbare Menschenrechtler. Noch bevor der hohe Besuch aus dem Vatikan eintraf, wurden die Obdachlosen, die die Straßenzüge um das Kloster besonders gern frequentieren, in provisorische Unterkünfte abtransportiert.

Auch andere Details der aufwändigen, minutiös inszenierten und von Fernsehmoderatoren euphorisch begleiteten Visite kommen in Brasilien nicht so gut an. „Dieser Prunk muss die Leute in den Favelas doch aufbringen“, sagt Maria Dornelles aus Porto Alegre, die ihren Lebensunterhalt als Köchin und Putzhilfe verdient. „Wenn der Papst weg ist, herrscht wieder Krieg.“ Dass die Regierung Millionen für den Besuch hingeblättert hat, selbst den Transport der zwei Mercedes-Papamobile von Rom nach Brasilien organisierte, will ihr nicht in den Kopf. Als die Ankunft der deutschen Oberhirten übertragen wird, machen sich Zuschauer in den Cafés über sein modisches Outfit lustig.

Den größten Fauxpas hatte sich Benedikt XVI. jedoch schon beim Anflug geleistet: Auf einer Pressekonferenz sagte er, er sei damit einverstanden, die Stadträte zu exkommunizieren, die im April in Mexiko-Stadt die Legalisierung der Abtreibung beschlossen hatten. Sprecher Federico Lombardo übte sich immer wieder in Schadensbegrenzung, doch vergebens: Der Papst hatte sich denkbar unglücklich in die Abtreibungsdebatte eingeschaltet, die in Brasilien so intensiv geführt wird wie seit Jahren nicht mehr.

Als Erster antwortete Gesundheitsminister José Gomes Temporão: Die Erklärung sei „unpassend“, sagte der Minister kühl. Zugleich wehrte er sich gegen die Vereinnahmungsversuche des Vatikans, der durch ein Konkordat mit Brasilien Religion als Pflichtfach an den Schulen verankern will.

Bei einem kurzen Treffen mit Präsident Lula habe der Papst „der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es noch während seines Pontifikats und der Amtszeit von Präsident Lula zur Unterzeichnung des Vertrags komme“, berichtete Vera Machado, die brasilianische Botschafterin im Vatikan, den Reportern. Lula habe gesagt, er wolle den „laizistischen Staat festigen und die Religion als Instrument für die Spiritualität und die sozialen Probleme“ einsetzen. Eine schnelle Einigung auf ein Konkordat, auf das der Vatikan gehofft hatte, ist somit vom Tisch.

Stunden später sagte Lula in Brasília, der Papst sei zwar „sehr deutsch“, aber doch sympathischer, als er ihn sich vorgestellt hatte. Dies zumindest will die Tageszeitung Folha de São Paulo erfahren haben. Der Pontifex hingegen beklagte sich beim Mittagessen über die „aggressive Laizität, die die ganze intellektuelle Welt für sich beanspruchen will“. Abends ließ er sich von 40.000 Jugendlichen im Stadion von Corinthians São Paulo feiern, wo er Keuschheit und soziales Engagement predigte.