URTEIL IM SKANDAL UM DIE ENTTARNUNG EINER CIA-AGENTIN KLÄRT NICHTS
: Opfer einer Strohpuppe

Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um der Aussage des demokratischen Senators Charles Schumer zuzustimmen, mit dem ehemaligen Büroleiter des US-Vizepräsidenten Dick Cheney, Scooter Libby, sei lediglich eine Strohpuppe geopfert worden. Libby wurde am Dienstag des Meineids und der Behinderung der Justiz für schuldig befunden – doch niemand glaubt, dass das tatsächlich alles war.

Worum es bei diesem inzwischen überaus komplexen Fall tatsächlich geht, ist etwas anderes: Hat das Weiße Haus vor dem Irakkrieg tatsächlich nur unzutreffenden Geheimdienstberichten über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen vertraut? Oder hat Bush, als er noch in seiner Rede zur Lage der Nation Anfang 2003 den Vorwurf wiederholte, Irak wolle sich im Niger waffenfähiges Uran beschaffen, wissentlich gelogen – und in der Folge Kritiker wie den ehemaligen Botschafter Joe Wilson durch die Enttarnung seiner Ehefrau als CIA-Agentin mundtot zu machen versucht? Wenig spricht für die erste Version.

Die aber ist bis heute die gültige Sprachregelung, der sich auch viele Demokraten bedienen: Hätten wir gewusst, was wir heute wissen, wir hätten doch niemals … Eine Lebenslüge steht auf dem Spiel. Eine allerdings, der in der Öffentlichkeit schon lange niemand mehr Glauben schenkt.

Das immerhin ist der positive Effekt des Irak-Desasters. In absehbarer Zeit wird es nicht mehr gelingen, mit der kategorischen Bemerkung „Wir wissen das“ angebliche Bedrohungen zu behaupten, die in der Konsequenz zu „präemptiv“ geführten Militärschlägen führen.Wenigstens wird die Zahl der Skeptiker höher sein als damals. Insbesondere mit Blick auf mögliche Militärschläge gegen Iran ist das tröstlich. Um das Publikum von einer Bombardierung Irans zu überzeugen, muss sich Washington mehr ausdenken. Andererseits: Unter normalen Umständen der politischen Hygiene wäre die Verurteilung Libbys der späteste Zeitpunkt für einen Rücktritt Dick Cheneys gewesen. Doch er bleibt. Und wer so wenig zu verlieren hat, dem ist alles zuzutrauen. BERND PICKERT