Einer auf der falschen Seite

HAUSBESUCH Felix und Siegfried sind ein deutsch-deutsches Paar. Die Diskussion über ihre Unterschiede hält sie zusammen: Ost – West, Bergliebhaber – Flachlandbewohner, Christ – Kirchenfeind

VON LENA MÜSSIGMANN
(TEXT) UND MATHIAS ERNERT (FOTOS)

Heidelberg. Zu Besuch bei Siegfried Schilinski (51) und Felix Schöber (50). Die beiden sind seit 14 Jahren ein Paar – inzwischen mit kirchlichem Segen.

Draußen: Ein Altstadthaus in der Heidelberger Weststadt, gebaut um 1900.

Drin: Ganz oben wohnen Felix und Siegfried auf 100 Quadratmetern. Der liebste Platz der beiden ist im Sommer der Balkon mit Blumenkästen und gepolsterter Bank, mit Blick über die Dächer und den grünen Gaisberg. Im Winter lieben sie ihr Wohnzimmer mit Holzofen. Jeder hat sein Arbeitszimmer – Felix hat dort auch sein Bett stehen – „wegen gewisser Geräuschentwicklungen“, sagt er. „Eigentlich finde ich’s blöd.“ Manchmal horche er nachts an Siegfrieds Schlafzimmertür. „Wenn nichts zu hören ist, habe ich Hoffnung, dass ich wieder einziehen kann.“

Wer macht was? Siegfried arbeitet seit 15 Jahren als Altentherapeut. „Der Beruf kommt meinem Wesen entgegen, weil ich mich gern unterhalte und keine Berührungsängste habe, auch mal jemanden in den Arm zu nehmen.“ Siegfried ist evangelischer Christ. Er geht zweimal pro Monat zum Bibelkreis und sonntags zum Gottesdienst. Felix geht in dieser Zeit joggen. „Seelenheil sucht jeder für sich“, sagt Felix. Seine Familie ist vor Generationen aus der Kirche ausgetreten (überlieferter O-Ton des Urgroßvaters zu Zeiten des Ersten Weltkriegs: „Wenn die Pfaffen Waffen heiligsprechen, treten wir aus.“). Felix arbeitet seit 17 Jahren in Heidelberg bei einer Immobilienfirma als Haustechniker. Vom Büro aus koordiniert er Reparaturen in den Immobilien. In seiner Freizeit fotografiert er gern, macht Krafttraining, geht wandern und klettern. Das Paar hat einen kleinen Garten am Stadtrand, den Felix pflegt

Wer denkt was? Felix denkt über den Sinn des Lebens nach („hat sicher mit meinem Alter zu tun“). Er meint: „Der Mensch ist das dümmste Tier auf dieser Welt. Kein anderes Wesen zerstört seine eigene Lebensgrundlage.“ Die Komplexität der Probleme mache ihn verrückt. Sein Beitrag könne nur bescheiden sein: Er hat kein eigenes Auto, sondern nutzt Carsharing und repariert vieles selbst. Siegfried beschäftigt die Frage, welche Rolle Schwule und Lesben in der Kirche spielen. Er habe gehadert, habe schon austreten wollen. Felix hat ihn davon abgehalten: „Wenn alle Schwulen und Lesben aus der Kirche austreten, dann gibt es keine Reibungsfläche mehr. Dann hätten es die gepackt, die gegen eine Öffnung sind.“ Also ist Siegfried geblieben.

Felix: wuchs in Wurzen bei Leipzig auf, damals DDR. Er lernt Stahlbauschlosser im Metallleichtbaukombinat Leipzig. Als Jugendlicher tritt er in die SED ein („Ich bin auch heute noch links. Ich bin ein Gutmensch. Ich will, dass es allen gut geht. Nicht dass einer mehr und einer weniger hat“). Ende der 80er bröckelt seine Zustimmung. Er wird im November 1988 zum Wehrdienst eingezogen. Bei den Protesten an der Nikolaikirche steht er seinen Freunden und seiner Frau gegenüber – „ich war auf der falschen Seite“. Er habe sich der Anweisung, Demonstranten mit dem Knüppel zu schlagen, widersetzt, sagt er. Nach der Wende wird er entlassen und zieht 1990 mit Frau und seinem einjährigen Sohn nach Heidelberg. Nach zehn Jahren Familienleben hatte er sein Coming-out. Die beiden trennen sich, Felix kündigt Job und Wohnung. Fängt neu an. Einen Outing-Moment gab es bei ihm nie. „Auf Arbeit erzähl ich jetzt halt von Siegfried.“

Siegfried: wuchs in Eutin auf, Schleswig-Holstein, alte BRD. Seine Eltern kommen aus Ostpreußen („Ich bin ostpreußischer Holsteiner“, „Flachlandbewohner“). Sein Vater starb, als Siegfried sechs Jahre alt war, wenig später starben auch seine Oma und seine Tante („Ich hatte viel mit dem Tod zu tun. Meine Mutter habe ich nur in Schwarz gesehen“). Eine Baptistengemeinde gibt ihm Rückhalt und prägt ihn. Nach der Handelsschule Wirtschaft lernt er Rechtsanwalts- und Notargehilfe. „Ich wusste mit 17, dass ich schwul bin. Es gab überhaupt keine Treffpunkte. Eutin ist Provinz. Ich dachte mir: Du musst hier weg.“ Er macht eine zweite Ausbildung als Altenpfleger in Lübeck und zieht für sein Anerkennungshalbjahr nach Heidelberg.

Das erste Date: über eine Kontaktanzeige. Beide: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“

Die Hochzeit: Am 1. Februar 2014 haben sich Siegfried und Felix verpartnern lassen – im Standesamt und in der Kirche. Beide mit grauem Zylinder, Frack und Gehstock, der Standesbeamte mit Schärpe in Regenbogenfarben. „Eine Liebesheirat war’s nicht unbedingt“, sagt Felix. „Die Liebe gab’s ja schon.“ Es ging um Sicherheit. Die beiden hatten die Geschichte eines Mannes gehört, der nicht wusste, wo sein Partner beerdigt worden ist. „Ob man als Freund Auskunft bekommt, obliegt der Familie“, sagt Siegfried. Seine Mutter akzeptiert das Schwulsein des Sohns. Felix’ Eltern nicht. Sie haben die Hochzeit nicht mitgefeiert.

Wie findet ihr Merkel? Siegfried schätzt an ihr, dass sie Guido Westerwelle in ihrer gemeinsamen Regierungszeit oft mit Mann eingeladen hat. Felix mag Merkel nicht („zu glatt“). Er sagt: „Sie war mal FDJ-Sekretärin und jetzt bei der CDU? So einen Sinneswandel krieg ich nicht hin.“

Nächstes Mal treffen wir Kinga und Axel Diembeck auf Gut Kubbelkow auf Rügen. Sie möchten auch besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de