„Die Äpfel sind schon an den Bäumen gefault“

MOST Deutschland ächzt unter einer Apfelschwemme. Nur rings um Angermünde in der Uckermark ist Ebbe. Die kleine Süßmosterei Klimmek hat schwer zu kämpfen. Doch Heinz Klimmek, 75, denkt nicht ans Aufgeben

■ Heinz Klimmek wird 1939 in Bölkendorf bei Angermünde geboren. Die Eltern sterben früh, der elfjährige Waise bekommt einen Vormund, macht eine Bäckerlehre und eine Ausbildung zum Kfz-Elektriker. Später arbeitet er als Kraftfahrer.

■ Brunhilde Klimmek ist gelernte Kauffrau. Das Paar heiratet 1960, vier Jahre später wird Sohn Jörg geboren.

■ 1983 eröffnen die Eheleute eine Süßmosterei in Sternfelde bei Angermünde.

■ Nach der Wende steigt auch Sohn Jörg in den Betrieb mit ein. Die Mosterei wird modernisiert und vergrößert.

■ 1996 stirbt Jörg an Lungenkrebs. Sein Sohn, der 1989 geborene Enkel Rico, wird den Betrieb bald übernehmen.

■ Telefon: (0 33 31) 3 31 63, www.mosterei-klimmek.de

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
FOTOS ERIK-JAN OUWERKERK

taz: Herr Klimmek, welcher Apfel macht den besten Most?

Heinz Klimmek: Die Mischung macht’s. Der eine bringt die Süße, der andere die Säure. Die alten Bauernsorten sind die besten.

Nennen Sie doch mal einen Namen.

Die Goldparmäne ist ein wirklich guter Apfel. Er hat Aroma, Geschmack und gibt Saft, wird aber leider kaum noch angebaut.

In Deutschland gibt es in diesem Jahr eine Apfelschwemme. 25 Prozent mehr Ernte als üblich, sagen die Bauern. Da schlägt das Herz des Mosters höher, oder?

Denkste. Bei uns, im Kern der Uckermark, gibt es dieses Jahr kaum Äpfel. Normalerweise kommen bei mir in der Mosterei rund 200 Tonnen Äpfel zur Eigenvermarktung an. Dieses Jahr sind es nicht mal die Hälfte: 75 Tonnen, um genau zu sein.

Woran liegt das?

Wir wissen es nicht. Viele Äpfel sind schon an den Bäumen gefault. Kann sich keiner erklären. In der Zeit, wo die Blüte war, war es auch kalt. Die Biene ist ein bisschen geflogen, aber nicht sehr viel. So dass die Bestäubung zum Teil auch ausgefallen ist.

Was bedeutet der Ausfall für Ihren Betrieb?

Das ist eine richtige Bedrohung. 2010 war es auch kritisch. Aber da war die Apfelkrise bundesweit. Einige Mostereien sind da kaputtgegangen.

Beschreiben Sie doch bitte mal Ihre Firma.

Die Süßmosterei Klimmek ist ein kleiner Familienbetrieb. Zurzeit haben wir vier Beschäftigte, einer davon ist unser Enkel. Er wird den Betrieb mal übernehmen.

Was ist Ihr Geschäftsmodell?

Die Kleingärtner liefern ihr Obst bei uns ab und bekommen dafür ein bestimmtes Kontingent an Saft. Wer Äpfel abliefert, zahlt 0,45 Cent für die 0,7 Liter Flasche. Wer keine Äpfel hat, 0,65 Cent. Man kann für die Äpfel auch andere Säfte bekommen. Viele holen sich den Saft nach und nach ab, weil sie zu Hause keine Lagermöglichkeit haben. Dass heißt, wir brauchen immer einen gewissen Vorrat. Und dieser Vorrat ist momentan nicht vorhanden.

Nach dem gleichen Prinzip haben Sie schon zu DDR-Zeiten gewirtschaftet?

Genau. Zu Ostzeiten hat der Kunde Rhabarber in Massen gebracht. Wurde zwar getrunken, war aber nicht beliebt. Meine Frau Brunhilde und ich haben die Mosterei von der Pieke auf aufgebaut. 1983 ging’s los. Der Grund und Boden hatte meinen verstorbenen Schwiegereltern gehört. Wir durften einen privaten Betrieb aufmachen, weil es in der Uckermark keine Mosterei gab. Die nächsten waren an der polnischen Grenze und in Werneuchen und Bernau. Die Spanne dazwischen war zu groß.

Was hatten Sie bis dahin gemacht?

Ich habe Bäcker und Kfz-Elektrik gelernt. In einem Großbetrieb habe ich als Kraftfahrer gearbeitet – bin Pkw, Lkw, Kran gefahren – all so was. Meine Frau war kaufmännisch tätig.

Wie ging es dann weiter?

Das große Problem zu Ostzeiten war, Leergut zu bekommen. Wir haben den Kunden gesagt: Ihr könnt kommen mit Äpfeln, aber ihr müsst Flaschen mitbringen. Das hat dazu geführt, dass im gesamten Umkreis an den Verkaufsstellen die Flaschen aufgekauft wurden. Durch unseren neu entstandenen Betrieb gab es bis hoch nach Neustrelitz praktisch kein Leergut mehr. So war das in der DDR. Man konnte einen Betrieb aufbauen, aber man bekam keine Zuweisung für neue Maschinen und Glas. Neue Betriebe waren im Plan der Planwirtschaft nicht vorgesehen.

Wie kam die Mosterei bei den Leuten an?

Wir hatten einen herrlichen Sommer 1983 und einen schönen Saft. Die Kunden waren begeistert. Aber die Technik war zum Verfluchen. Die Molkereien waren 1983 alle neu aufgefrischt worden, die alte Technik wurde verschrottet. Wir kamen zu spät. Wenn ein VEB-Betrieb was verkaufen wollte, musste er es erst mal den anderen volkseigenen Betrieben und Produktionsgenossenschaften anbieten. Erst wenn die es nicht wollten, konnten wir es kriegen. Was noch zu haben war, war wirklich Schrott. So war das zu Ostzeiten.

Haben Sie die Maschinen selbst in Gang gesetzt?

Zum Teil ja, aber wir haben auch viel machen lassen. Das war ja so: Jeder kannte jeden. Der eine war Schweißer, der andere Dreher oder Schlosser. Der ganze Aufbau erfolgte ja nach Feierabend. Das musste natürlich auch bezahlt werden. Wenn die Maurer vom Hof gingen, hatten sie ihr Geld in der Tasche.

Und alles in Schwarzarbeit verdient?

Das war ja so, dass nach Feierabend jeder machen konnte, was er wollte. Außer die, die bei der Kreisleitung oder bei politischen Stellen beschäftigt waren. Auch Feuerwehrleute und Waffenträger durften im Privatsektor nicht arbeiten.

Wie haben Sie das finanziert?

Wir haben 65.000 Mark als Kredit gekriegt. Aber die reichten nicht weit. Aus der Not heraus haben wir noch ein paar Schweine gehalten und Hühner.

Sie sind gebürtiger Uckermärker. Was hatten Sie für eine Kindheit?

Genau genommen bin ich Bölkendorfer, das ist zehn Kilometer ab von Angermünde, am Parsteiner See. Da bin ich aufgewachsen. Vater ist 1944 im Krieg geblieben. Mutter ist 1950 gestorben.

Da waren Sie elf Jahre alt.

Ich bekam einen Vormund, der wiederrum 1956 verstorben ist. Notgedrungen musste ich den Bäckerberuf erlernen, weil ich dort schlafen und essen konnte und das Leben somit für mich irgendwie weiterging.

Sind Sie jemals aus der Uckermark rausgekommen?

Überhaupt nicht. Berlin, Bremen, Ostseeküste. Das war alles. Bis heute.

Gibt es da eigentlich so eine Sehnsucht?

Nee. Eigentlich nicht. Das ist eine schöne Ecke hier. Wir haben Berge, wir haben Wasser, wir haben eine vernüftige Luft. Wat will man mehr? Nee. Wir haben ein gutes Zuhause, eine warme Stube. Rundum Verwandtschaft. Alles in Ordnung.

Haben Sie überhaupt keine Träume?

Wissen Se, man kann nur essen und trinken, mitnehmen kann man sowieso nichts, wenn’s zu Ende geht. Was soll man mit so viel Reichtum? Ich bin der Meinung, wenn alle so denken würden und handeln, dann würde es vielen anderen auch besser gehen. Das ist doch alles Wahnsinn.

Trauern Sie der DDR manchmal nach?

Es gab viele gute Sachen, aber auch schlechte Sachen. Diese ganze Stasi-Geschichte, die ich ja zum Teil miterlebt habe, ist nicht in Ordnung. Die Diktatur war nicht gut. Aber das Gesundheitssystem war in Ordnung. Die Jugendlichen haben ja irgendwie doch einen Beruf erlernt, auch die, die bildungsmäßig nicht den besten Stand hatten. Früher war es ein Für- und ein Miteinander. Heute ist es eine Ellbogengesellschaft.

Wie haben Sie die Wende erlebt?

Meine Kollege Neumann von der Mosterei in Bernau, der hat mich angerufen und gesagt, willste nicht mitkommen zur Demo. Das war die große Demo in Berlin am Roten Rathaus. Da war die Grenze noch zu. Ick sagte, na klar, komm ich mit. Dann haben wir uns auf dem S-Bahnhof Bernau getroffen und sind nach Berlin gefahren.

Der Trend geht heutzutage zu Bio. Viele Leute wollen Most von ihren eigenen Äpfeln. Inwieweit spüren Sie das?

Die Konkurrenz ist groß. Unser Betrieb war ja immer einfach und schlicht. Um bestehen zu können, mussten wir nach der Wende in ganz neue Technik investieren. Der Kunde hatte im Westen die schöne Schraubflasche gesehen. Wir hatten früher nur Kronkorken. Dann gab es plötzlich die schönen bunten Bilder auf den Ettiketten. Die Leute wollten nicht mehr die herkömmlichen Säfte haben. Die wollten was Neues.

Was denn zum Beispiel?

Multinektar, Apfel, Orange, Mango. Viele Frauen wollten mit Grapefruit gemischte Sportgetränke, schmackhaft mit wenig Kalorien. Was aber nur zwei Jahre ging, dann wurde wieder gewechselt.

Auch wegen Ihres Sohns hatten Sie damals in den Betrieb investiert.

Das ist eine traurige Geschichte. Jörg war Tischler von Beruf. Er lebte in Berlin. Nach der Wende ist er in den Betrieb miteingestiegen. Er konnte alles, war sehr begabt. Wir haben zusammen die ganze technische Umstellung gemacht. Er hat Verhandlungen mit dem Großhändlern geführt. Alles lief bestens. Dann stellte sich heraus, dass er Lungenkrebs hat. 1996 war er binnen eines Vierteljahrs unter der Erde.

Wie alt ist Jörg geworden?

Er war 32 Jahre, als er starb. Da wird man nie Herr drüber.

Was waren die Folgen für den Betrieb?

Weil der Hauptmanager weg war, sprangen die Großhändler ab. Wir mussten die Lkws verkaufen und die Anlagen zurückbauen. Meine Frau und ich haben uns all die Jahre so durchgestuckert, bis Rico, Jörgs Sohn, unser Enkel, so weit war. Rico ist jetzt 25 Jahre. Er hat Tourismuskaufmann gelernt und wird die Sache hier weiterführen. Soweit ich kann, werde ich weiter mithelfen.

Sie sind gerade 75 Jahre alt geworden. Was sagt Ihr Rücken zu den schweren Apfelkisten, die Sie jeden Tag schleppen?

Die Arbeit hält einen in Gang, auch wenn die Knochen manchmal knarren. Die alte Technik macht mir viel mehr Kummer. Die ist ja jetzt auch schon wieder 25 Jahre alt. Ständig muss was erneuert werden. Aber jetzt müssen wir aber erst mal gucken, dass wir noch irgendwo Äpfel auftreiben und ein paar Großkunden – am besten in Berlin.

Und wenn es nicht klappt?

Ich habe ja noch eine Rente. Wenn alle Stricke reißen, fließt die in den Betrieb. Muss ja weitergehen. (lacht)