Das Ding, das kommt
: Schein und Zeit

HEIDEGGERS UHR hat die Künstlerin Ricarda Roggan in einem Raum fotografiert, in dem sie ohne Kontext und Geschichte zu sein scheint

Eine sterile Bühne. Aus einem zeitgenössischen Theaterstück könnte dieser kahle und nüchterne Raum stammen, in dessen Mitte eine Uhr platziert wurde. In dem blassen, eigenschaftslosen Grau wirkt sie wie ein Fremdkörper. Mit ihrer langen Kette, die sie einst mit einem Revers oder einer Anzugshose verband, wirkt sie ganz aus der Zeit gefallen. Wer trägt heutzutage noch so etwas?

Doch es ist keine Uhr aus einem Antiquitätengeschäft, welche die Leipziger Fotografin Ricarda Roggan für ihre Serie „Apokryphen“ so inszeniert und abgelichtet hat. Es ist eine Taschenuhr, die einst dem Philosophen Martin Heidegger gehörte. Roggan hat für sie einen Raum geschaffen, der völlig neutralisiert wirkt, in dem es keine Dauer, keine Zeit zu geben scheint. Inmitten dieser Atmosphäre raumzeitlicher Erstarrung begegnet uns jener Gegenstand, der dem Denker einst die Zeit anzeigte.

Irgendwann muss diese Uhr stehen geblieben sein. Zwanzig vor vier zeigt sie an – es könnte nachmittags, aber auch mitten in der Nacht sein. Doch während sie stehen blieb, lief die Zeit einfach weiter, weil die Zeit das immer so tut, einfach weiterlaufen. Heidegger hat dazu gesagt, dass überhaupt erst mit der Zeit das Dasein möglich wird. Er dachte dabei das Leben von seinem Ende her, der Tod war nicht einfach nur ein letztes Geschehnis, sondern strahlte auf unsere gesamte Existenz aus. Unser Leben war für ihn „Sein zum Tode“.

Eine zugegebenermaßen ziemlich deprimierende Betrachtungsweise. Wie schön wäre es doch, wenn sich der Lauf der Zeit anhalten ließe. Ähnlich wie Ricarda Roggan in ihren Bildern die Gegenstände scheinbar für die Ewigkeit einkapselt. Egal ob sie Höhleneingänge, Möbel, Spielautomaten oder Autowracks ablichtet – stets tut sie dies vor seltsam sterilen Kulissen, denen die Kontexte, die Geschichten fehlen. Dadurch verwandeln sich die Dinge gleich mit. Sie werden zu Fremdkörpern, die von einem anderen Planeten zu stammen scheinen.

Auch die fast 80 weiteren Gegenstände wirken so, welche Roggan für ihre Apokryphen-Serie in Szene gesetzt hat. Sie alle haben einst berühmten Persönlichkeiten gehört. Darunter sind eine Schelle des Dramatikers Gerhart Hauptmann, eine Brille des Erzählers Arthur Schnitzler oder ein Stück Rinde, das dem Lyriker Christoph Martin Wieland gehörte. Sie stammen aus den Museen und Archiven dieser Republik. Roggan hat sie aus ihrem Depot-Schlummer gerissen und ihnen auf der Bühne ihrer Kunst einen Zauber verliehen, sie mit einem reinen Schimmer versehen. Zu bestaunen sind sie nun gemeinsam mit zahlreichen weiteren Arbeiten der Fotografin aus den letzten 15 Jahren im Kunstverein Hannover.

KONSTANTIN WENZEL

■ Sa, 11. 10. bis So, 4. 1., Kunstverein Hannover