DIE EU-VERFASSUNG HAT KAUM NOCH EINE CHANCE AUF RETTUNG
: Rote Karte für Merkel

Das große Projekt der deutschen Ratspräsidentschaft, die Wiederbelebung der europäischen Verfassung, ist eine Mammutaufgabe. Geschenkt wird der deutschen Ratspräsidentin Angela Merkel dabei nichts – auch wenn es noch nicht um ein konkretes neues Dokument, sondern nur um Eckpunkte für ein solches geht. Die Sympathie, die ihr die europäischen Regierungschefs entgegenbringen, reicht nicht: Es geht um die zukünftige Grundlage für die EU und damit um nur schwer vereinbare Interessen der Mitgliedsländer. Die Liste der Änderungswünsche – und entsprechender Gegenvorschläge – wird immer länger.

Der neueste Coup der Regierungen in Den Haag, Warschau und Prag ist die Idee einer „roten Karte“: Die nationalen Parlamente sollen damit mehr Macht in Brüssel erhalten. Sie sollen nicht nur Einspruch gegen Gesetze einlegen können, wie es der Verfassungsentwurf vorsieht, sondern sie sogar stoppen können – nicht einmal das Europäische Parlament hat in allen Bereichen so viel Macht. Die Forderung ist unrealistisch, und die Regierungen der drei Staaten wissen das wohl auch. Ihr Ziel, Brüssel nicht übermächtig werden zu lassen, werden sie trotzdem erreichen: Jeder neue Vorschlag verkompliziert die Verhandlungen. Dass bei dem gegenseitigen Tauziehen am Ende ein besseres Dokument herauskommt als nach monatelangen Verhandlungen im europäischen Konvent, ist unwahrscheinlich.

Angela Merkel ist viel gelobt worden für ihr Verhandlungsgeschick. Doch schon die „Berliner Erklärung“ vom März, in der sich die Mitgliedstaaten zu einer grundsätzlichen Reform der EU bekannten, war nicht der große Wurf. Dabei braucht Europa schlagkräftige Institutionen, um seine Probleme angehen zu können, beispielsweise eine gemeinsame Außen-, Sozial- oder Einwanderungspolitik. Der Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft wird sich daran messen lassen, ob Merkel die Gegner des Verfassungstextes überzeugen oder einbinden kann. Nachdem ihr Polen, Tschechien und die Niederlande die „rote Karte“ gezeigt haben, hat sie da noch viel vor sich. NICOLE MESSMER