Landflucht des Kaffklubs

Hinter dem Aufstieg des SV Wehen in die Zweite Bundesliga steht ein ehrgeiziger Mäzen. Viele Anhänger hat der Verein bislang nicht. Das soll sich mit dem Umzug nach Wiesbaden ändern

AUS WEHEN ACHIM DREIS

Die erste Feier liegt schon eine Woche zurück. Groß war sie nicht. Der Aufstieg des SV Wehen in die Zweite Liga war vor einer Woche mit einem 2:0 beim FK Pirmasens sicher gestellt worden. 19 Punkte Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz. Rekordverdächtig. Einhundert Fans waren dabei. Rekordverdächtig wenig. Am Samstag nach dem Heimspiel gegen die Stuttgarter Kickers (1:0) gab es dann doch eine größere Party. 1.000 Fans feierten in der Landeshauptstadt Wiesbaden, wo der Club auf dem Schlossplatz empfangen wurde.

Ein Zugpferd sieht dennoch anders aus. Selbst bei Heimspielen stehen kaum mehr als tausend Mann auf dem Halberg. Aber woher sollen die Fans auch kommen? Wehen im Taunus, 6.700 Einwohner. Der drittgrößte von zehn Ortsteilen eines 1971 zusammengeschlossenen Stadtgebildes namens Taunusstein, das es mit Mühe auf knapp 30.000 Einwohner bringt. Sportlich hat Taunusstein bisher nur durch Rhönradturner auf sich aufmerksam gemacht. Aber die waren immerhin Weltmeister.

Die Geschichte des Wehener Fußballaufstiegs begann 1979, als der Unternehmer Heinz Hankammer (heute 75) Vergnügungsausschussvorsitzender des A-Liga-Klubs wurde. Drei Jahre später übernahm der Wasserfilterfabrikant den Vereinsvorsitz, den er nie mehr abgab. Im Laufe der 25 Jahre seiner Alleinherrschaft heuerten mehrere Hundert Fußballspieler in seinem Verein an, viele auch in seiner Firma Brita.

Der wichtigste Neuzugang war Bruno Hübner (46). 1986 wechselte der damals 25-Jährige von der Pfalz in den Taunus, von der Bundesliga in die Kreisklasse, vom Betzenberg auf den Halberg. Wegen der beruflichen Perspektiven: „Ich machte meinen Industriekaufmann.“ Es wurde viel gemunkelt in der Region über die Ambitionen des „Millionenklubs“. Der Durchmarsch bis zur Oberliga dauerte auch nur ganze vier Jahre.

„Wenn mir vor 20 Jahren jemand gesagt hätte, dass wir in die Zweite Liga aufsteigen, ich hätte ihn für verrückt erklärt“, sagt Hübner heute, der den Verein beziehungsweise die Firma nie mehr verlassen hat. Er spielte und trainierte beim SV Wehen und arbeitete bei Brita, beides unter „Chef“ Hankammer. Irgendwann wurde Hübner hier Vertriebsleiter und dort Manager, seit 2004 kümmert er sich hauptamtlich um Fußball.

Wehen spielt seit 1997 in der Regionalliga, etablierte sich zusehends. Der Hartplatz wurde durch Rasen ersetzt, ein paar Tribünen aufgestellt, die aber nie voll waren. Doch der Verein legt Wert auf nachhaltige Struktur. Die Reservemannschaft steigt gerade von der Landes- in die Oberliga auf, alle Jugendmannschaften spielen hochklassig. Es gibt ein Nachwuchsleistungszentrum mit Hausaufgabenbetreuung und Fußballtraining. Irgendwann wurde der Namenszusatz Taunusstein angehängt, um den Gästen bei der Anfahrt die Orientierung zu erleichtern. Der wird jetzt wieder ausgetauscht, denn der Verein wird seine Zweitliga-Heimspiele in Wiesbaden austragen und nennt sich bald „SV Wehen-Wiesbaden 07“.

In der Landeshauptstadt nahm man die Emporkömmlinge zunächst nicht mit offenen Armen auf. Lange wurde diskutiert, ob man den Club vom Land haben will. Der drohte damit, in Mainz zu spielen, oder gleich ein eigenes Stadion zu bauen. Letztlich einigte man sich doch. Wehen rüstet für 8,5 Millionen Euro das verstaubte „Stadion an der Berliner Straße“ für 14.000 Zuschauer auf und darf es drei Jahre lang nutzen: Es wird „Brita-Stadion“ heißen, nach der Firma des Chefs, die wiederum nach dessen Tochter benannt ist.

Das einzige Bundesligateam der Landeshauptstadt ist bisher der VC Wiesbaden – die spielen Frauenvolleyball. Doch mittlerweile freut sich die Breitensportstadt über den zu erwartenden Imagegewinn. „Jede Stadt kann Fußballstadt sein“, meint Hübner: „Doch aus meiner Sicht ist Wiesbaden Fußballbrachland.“ Es ist ein halbes Jahrhundert her, dass der SV Wiesbaden einen Namen hatte und von Helmut Schön trainiert wurde. Später machte beim FV Biebrich 02 Jürgen Grabowski auf sich aufmerksam. Der wurde 1974 als vermeintlicher Frankfurter unter Helmut Schön Weltmeister.

Heute kicken SV Wiesbaden und Biebrich 02 in der Landesliga Hessen Mitte und schauen neidisch auf den neuen Lokalrivalen. Der trägt seit gut einer Woche in Gold auf Schwarz „2. Bundesliga, wir kommen!“ auf seinen „Aufsteiger“-T- Shirts und freut sich auf Derbys gegen Mainz 05, Kickers Offenbach, TuS Koblenz – oder gar Eintracht Frankfurt! „Wir haben den Aufstieg punktgenau im richtigen Moment geschafft“, sagt Hübner.

Und das ohne richtigen Trainer. Denn während der zweite designierte Dorfvereinsaufsteiger aus der Regionalliga Süd, die TSG Hoffenheim, mit Ex-Schalke-Professor Ralf Rangnick und Exhockeyweltmeister Bernhard Peters das Kompetenzteam schlechthin auf der Bank sitzen hat, werden die Wehener von zwei Nachrückern ohne Trainerschein gecoacht.

Christian Hock (37) und Extorwart Steffen Vogler (40) sprangen als Trainerduo ein, als der eigentliche Steuermann, Djuradj Vasic (50), das Aufstiegsschiff Mitte Oktober verließ, um sich „seinen Traum von der 2. Liga“ zu erfüllen. Er heuerte nach fünf Jahren Wehen bei Eintracht Braunschweig an. „Es wäre für mich eine Horrorvorstellung, wenn Braunschweig absteigen, und Wehen aufsteigen würde“, sagte der Serbe damals. Keine fünf Wochen später wurde er beim Absteiger wieder entlassen. Doch er darf zurück ins Dorf. Um nicht „blauäugig in das Abenteuer 2. Liga“ zu gehen, hat Hübner seinen Lieblingstrainer Vasic als „sportlichen Koordinator“ wieder eingebunden. Hock und Vogler seien einverstanden.

Dass die Wehener ihre Zukunft angenommen haben, zeigte nun der Partyplan nach dem Spiel gegen die Kickers. Erst wurde auf dem Halberg mit Freibier für die alten Fans gefeiert – dann wurde mit Cabrios der Weg nach Wiesbaden gesucht – und dort vor dem Rathaus und den neuen Fans weitergefeiert.