Die Suche nach dem Unerhörten

MINDERHEITENMUSIK Laurent Jeanneau sammelt die vom Vergessen bedrohte Musik ethnischer Minoritäten. Musiknerds verhelfen manchen der raren Klänge zu unverhofften Hypes

Am Donnerstag startet im Ausland die Veranstaltungsreihe „Musik von/für Minderheiten“, in der einmal im Monat wenigstens ein kleiner Teil der Aufnahmen ethnischer Musik vorgestellt wird, die Laurent Jeanneau seit Ende der neunziger Jahre auf seinen Forschungsreisen in die entlegendsten Winkel Asiens gemacht hat. Zum Auftakt gibt es Musik von Gong Orchestern aus Kambodscha und Laos zu hören, der nächste Abend am 13. November widmet sich der vokalen Polyfonie in China und Vietnam. Laurent Jeanneau erklärt die Musik (auf Englisch) und zeigt Fotos von seinen Reisen. TM

■ Ausland, Lychener Str. 60, 9. Oktober, 20 Uhr, 3 Euro

VON THOMAS MAUCH

Es geht ums Verschwinden.

Wenn man zum Beispiel mal die Gattung der Liebeslieder ins Auge fasst. Oder, besser, der Lieder, mit denen man einen möglichen Partner erst mal umgarnen und für sich fesseln will. Wenn man also in einem Bewerbungssingen bei der besungenen Person den bestmöglichen Eindruck für sich herausholen will, durchaus im Wettbewerb mit anderen Sängern. Um dann plötzlich festzustellen, dass das mit dem Singen ein ganz schön alter Käse ist, weil doch der Typ nebenan jetzt mit seinem neuen Motorrad angefahren ist und seinen freien Platz auf dem Soziussitz als das bessere Argument bei der Partnerwahl einsetzt. Dann kauft man halt auch so ein Motorrad zum Protzen, und mit dem Singen der Liebeslieder ist es dahin.

Man braucht sie ja nicht mehr.

Wenn jetzt aber der Weltgeist in diesem Moment sorglos die Delete-Taste drückt, ist so ein Lied einfach weg. Unwiederbringlich. Für immer. Und mit dem Lied die ganze Tradition, die dieses Singen erst hervorgebracht hat, wenn es sich bei den Sängern um eine orale Kultur der mündlichen Überlieferung handelt. Nichts davon kann die Nachwelt mehr hören, wenn nicht mal einer dem Sänger ein Mikro vor den Mund gehalten hat und eine Aufnahme von seinen Liedern gemacht wurde.

Das Sammeln von einer so gefährdeten Musik ist die Leidenschaft von Laurent Jeanneau. Lange Jahre lebte der 49-jährige Franzose in Kambodscha und China und trieb sich in Asien gerade in den versteckten Weltecken bei ethnischen Minderheiten herum, bei denen einerseits noch so traditionell gesungen wird und wo man sich aber mittlerweile auch gern ein Motorrad kauft. In einer diesen Donnerstag beginnenden Reihe im Ausland stellt Jeanneau, der seit sechs Monaten in Berlin lebt, seine Aufnahmen vor.

Angetrieben bei seiner Recherche wird Jeanneau dabei weniger von dem Wunsch, noch mal was festzuhalten, bevor es endgültig weggestorben ist, sondern von seiner „Leidenschaft für Musik“ und weil es in diesen entlegenen Winkeln der Welt halt schlicht Tolles zu entdecken gibt. Aufregende Traditionsmusiken, die dann wieder in die Archive eingestellt werden dürfen. Womit man schon auch in der aktuellen Retrodebatte angekommen ist mit ihren verführerischen Bandschleifen vergangener Zeiten, die einen plötzlich einholen können. Wenigstens einen klitzekleinen Hype gab es da etwa zuletzt auch in Berlin mit der Paradise Bangkok Molam International Band um Molam, traditionelle Trancemusiken aus Thailand, Laos und Vietnam, die in den Sechzigern elektrifiziert wurden und in manchen Ecken Asiens einen regelrechten Popstatus hatten. Jetzt, wieder ausgegraben aus den Archiven, kann Molam eben auch den musikalisch heimatlos gewordenen Indierockfans – weil Indierock momentan nichts wirklich Spannendes zu bieten hat oder weil man dem Rock ganz allgemein etwas rausgewachsen ist – neue Aufregungen geben. Weil diese Musik mit ihren Ekstasen wie im Krautrock schon auch was Vertrautes hat und doch ganz anders ist. Eine vollkommen andere Geschmacksrichtung. Was Exotisches.

In dieser Hinsicht gibt es noch einiges zu bergen aus den Regalen der Vergangenheit. Fachlabel wie Finders Keepers Records oder Sublime Frequencies locken mit exquisitem Angebot. Musik von persischen Popdiven aus den siebziger Jahren wie Googoosh etwa oder Zusammenstellungen von einem über Fernost gebrochenen psychedelischen Rock aus den sechziger Jahren aus Malaysia und Singapur, den sich der echte Snob natürlich am liebsten selbst von den Flohmärkten in Kuala Lumpur und Singapur besorgt.

Es geht auch um musikalisches Fernweh, um Tourismus für die Ohren – und Exotismus

Die Suche nach dem noch Unerhörten. Seltsame Popmusiken in eigenwilligen Mischformen mit einem nur losen Kontakt zum westlichen Pop und die Musik von ethnischen Minoritäten, es berührt sich bei der Suche nach den raren Klängen. Jedenfalls sind einige von Laurent Jeanneau gesammelte Aufnahmen auch beim Sublime-Frequencies-Label erschienen, das sich eben um solche (aus einer westlichen Perspektive) obskuren Sachen kümmert.

Da geht es auch um musikalisches Fernweh. Um einen Tourismus für die Ohren. „Das mit dem Exotismus“, meint Gregor Hotz, der Organisator der Jeanneau-Reihe im Ausland, „ist natürlich auch sehr problematisch“. Wobei die Abende schon mal einfach gut zum Namen des Ortes passen, Ausland, wo man auch sonst gern allerlei „seltsame“ Musik hört. Eine Heimstätte der Berliner Improvisationsmusikszene ist der Club in der Lychener Straße.

Und Impromusiker, als genuine Soundforscher, sind dabei eben prinzipiell immer an einem neuen, fremden Klang interessiert. Gerade auch an dem oft rauen Klang der ethnischen Musik. Der was Urtümliches hat. Und, mit den Aufnahmen, einfach auch nur ein weitere musikalisches Material ist. Laurent Jeanneau, der Sammler, nutzt es selbst. Manchmal verarbeitet er die fremden Klänge in Remixen. Überhaupt ist die Reihe im Ausland eine Einladung, diese Musiken nicht nur kennenzulernen, sondern sie möglicherweise auch künstlerisch weiterzuverarbeiten.

Ein Experiment. Es wird wohl beides sein, gleichzeitig: dass da diese ethnische Musik in einer globalisierten Remix-Kultur verschwindet. Und dass sie dabei, wenigstens als Klang, aufgehoben ist, in einer neuen digitalen Heimat.