Agenda 2010
: Handelsware Kultur (Teil 2)

PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Er ist stolz auf einen tragischen Ruhrgebiets-Künstler-Nachlass.

I want to wake up

in the city that never sleeps

To find I‘m king of the hill,

top of the heap (Liza Minnelli)

Also los. Mittelmaß verhindern. Qualitäten einfordern. Heimische Künstler animieren, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Alles gut. Hurra, wir sind Kulturhauptstadt. Denkste. Vor den Erfolg stellt die Ruhr 2010 GmbH das Antragsformular. Hast du keinen nach großer Kunst riechenden Namen? Dann bist du auch nichts. Was zu tun ist? Bau dein Denkmal selbst. Bestehe darauf. Das Ruhrgebiet besitzt bereits seit neun Jahren seine 70-Tonnen-Totenstele auf der Essener Schurenbachhalde.

Der US-amerikanische Künstler Richard Serra durfte dort seine Bramme auch mit Hilfe der RAG einrammen. Ein Meilenstein für Kultur als Handelsware. Großer Name, große Werbewirksamkeit, nachhaltige Wertschöpfung. Der Konzern, der momentan krampfhaft versucht, sich von seinen historischen Haftungen zu befreien, wird auch Hauptsponsor der künftigen Kulturhauptstadt 2010 sein. Dort werden die Sponsoren wieder auf gesicherte Wertschöpfung achten. Große Namen machen eben schnelle Kohle. Dagegen können viele der heimischen Künstler nicht anstinken. Ihnen bleibt meist nur entweder der lange Marsch über die Darmtrakte einflussreicher Kulturmanager oder -Politiker oder sie schauen in die ganz langen dunklen Kohle-Stollen. Wenn du es aber erst einmal geschafft hast, dann kannst du machen was du willst.

Jeder künstlerische Schrott wird dann umworben, ausgestellt – und realisiert. Aber das Ruhrgebiet soll ja eigentlich Modell für einen kulturellen Strukturwandel in einer europäischen Region abgeben. Damit hat ein geschicktes Management die Juroren letzten Endes überzeugt. Einhalten werden sie diese Ankündigung nicht, denn hier steht als kapitales Interesse lediglich Kultur als Handelsware im Vordergrund. Ein kapitaler Fehler. Denn so entstehen keine Experimente. Nur tautologische und epigonale Kunst mit gesichertem Bezug auf die überflüssige Laber-Kunsthistorie. Denn nur die taugt für die Kreativwirtschaft.

Wohin diese Einstellung führt? Wir haben einmal einen ganzen Künstlernachlass gekauft, um ihn vor der Mülldeponie zu bewahren. Da sollte (Zitat der Familie: „der ganze Quatsch“) nämlich hin. Sein einsames Künstler-Leben endete unter einem Zug, der ausgerechnet aus Essen kam. Dabei hat er Graffitti-Strichmännchen gemalt, als Keith Haring nur seine Windeln färbte. Er war Avantgarde, im Leben und in der Kunst – doch niemand interessierte es. Denn er war leise, machte kein Personal-Marketing und hatte nicht gelernt, wie man einen auf Kreativwirtschaft macht. Ein Glück für die Kunst, tragisch für ihn.

PETER ORTMANN