Viel Wind zum Abschied

THEATER Osnabrücks Intendant Holger Schultze verabschiedet sich mit der Uraufführung von Gert Jonkes „Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen“

In Gert Jonkes Stück muss jeder seine Existenzberechtigung per Ausweis belegen

Wenn der Wind weht, wird es gefährlich. Dann ist es die Pflicht eines jeden Bürgers in Gert Jonkes „Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen“, sich am nächstgelegenen Windgestell festzuhalten. Wer dieser Anweisung nicht folgt, wird weggepustet.

Einiges durcheinandergewirbelt hat auch Intendant Holger Schultze in seinen sechs Jahren am Theater Osnabrück. Fristete das Haus bis dahin ein Nischendasein in der deutschen Theaterlandschaft, so bekam Schultze immer wieder die Aufmerksamkeit der überregionalen Medien. Die Uraufführung von Jonkes Stück durch den Regisseur Philip Tiedemann ist nun die letzte Schauspielinszenierung in der Ära Schultze. Entsprechend darf einiges an dieser letzten Schauspielinszenierung als Anspielung auf den baldigen Abschied von Schultze und vielen Künstlern verstanden werden.

Doch die Aufführung hat nicht nur symbolischen Wert. Seine fast 40 Jahre sind Gert Jonkes Erstling nicht anzumerken. Während manch ein Stück der 1970er-Jahre heute arg angestaubt wirkt, könnte „Die Hinterhältigkeit der Windmaschinen“ auch vor kurzem geschrieben worden sein. Dass hier etwa jeder seine Existenzberechtigung per Ausweis belegen muss, hat in einer Welt zunehmender Datenkontrollen und -speicherung nichts an Aktualität eingebüßt. In Gert Jonkes Stück tauchen Fabriken auf, die Wolken produzieren und speichern. Diese greift Bühnenbildnerin Sabine Böing mit Fabrikschloten und dem Foto eines Atomkraftwerks in ihrem Bühnenbild auf.

Statt auf die Gesellschaftskritik konzentriert Regisseur Philip Tiedemann sich aber vor allem auf den Aspekt der Reflexion des Theaters auf sich selbst. Autor Jonke sagte über sein Stück, es sei eine „Theatererzählung“, aber auch ein Stück über das Theater derer, „die mit dem Theater im Theater nicht das Geringste zu tun haben“. Die Figuren sind im Wesentlichen Bühnenarbeiter, die während des Aufbaus von einem Stück über den Konflikt zwischen dem Inland und dem Ausland erzählen. Das Stück, von dem die Rede ist, ist nicht zu sehen.

Die sprachmächtige und abstrakte Erzählung verlangt dem Publikum einiges ab. Etwas einfacher macht es ihm Tiedemanns Inszenierung, die Witz und viel Gespür für Jonkes Sprachrhythmus aufweist.

Auch eigene Ideen haben da ihren Platz. In diesem Fall kehrt Schauspieler Clemens Dönicke nach dem Schlussapplaus noch einmal auf die Bühne zurück, weil er dem Publikum „seine ausdrückliche Bewunderung aussprechen“ möchte für die letzten sechs Jahre, die Künstler und Publikum gemeinsam verbracht haben. Da ist sie wieder, die Anspielung auf den Abschied. Durchaus ernst gemeint, aber angenehm clownesk und unpathetisch.

So hinterlässt diese schöne Inszenierung natürlich etwas Wehmut. Denn ob es solche frechen Inszenierungen auch nach der Sommerpause noch geben wird, muss der neue Intendant Ralf Waldschmidt erst noch beweisen. ANNE REINERT

nächste Aufführungen: 31. 5., 8. 6. und 17. 6., jeweils 19.30 Uhr