Fit machen für die Praxis

Hochschulabsolventen können sich in Berlin zum Dozenten für Schlüsselqualifikationen weiterbilden. Weil Studierende berufsorientierter lernen sollen, brauchen sie Fähigkeiten jenseits des Fächerkanons, vermittelt durch die neuen Dozenten

VON ANNEGRET NILL

„Njam njam njam“, raunt es durch den Hörsaal. Die Hände auf dem Brustkorb überkreuzt, stehen die Teilnehmer im Kreis und spüren dem sonoren Vibrieren in sich nach. „Mmmm.“ Wie warmer Honig rinnt es die Kehle hinunter und verbreitet sich im Körper. Beginn einer Trainingseinheit in Stimmbildung im Modul „Rhetorik und Präsentation“. Nächste Aufgabe: eine Spontanrede halten zu einem Postkartenmotiv. Später wird es eine Feedbackrunde für die Teilnehmerin geben, die heute die Trainingseinheit leitet: Wie kommt sie als Trainerin an?

Das Modul ist Teil einer viermonatigen Weiterbildung für Hochschulabsolventen zum Dozenten für Schlüsselqualifikationen, die seit letztem Herbst in Berlin angeboten wird. Schlüsselqualifikationen sind Fähigkeiten, die über fachliches Wissen hinausgehen. Beispielsweise Zusammenarbeit im Team oder mit Kunden, Umgang mit Konflikten, Selbstmanagement oder Einsatzbereitschaft. Auch „Lernen lernen“ gehört dazu: Ein Conditio sine qua non in der Wissensgesellschaft, in der sich die Anforderungen an Arbeitnehmer und Selbstständige ständig verändern.

Der Hintergrund: Im Rahmen des Bologna-Abkommens soll bis 2010 europaweit ein einheitlicher Hochschulraum entstehen. Ein Punktesystem und gestufte Abschlüsse sollen dafür sorgen, dass Leistungen untereinander vergleichbar und gegenseitig anerkannt werden. Dabei wichtig: die „Employability“ der Absolventen. Statt Bildung und kritischer Wissenschaft stehen nun Praxis und Berufsbezogenheit im Mittelpunkt des Studiums. Nach dem Motto „Je praxisbezogener das Studium, desto einfacher der Berufseinstieg danach“. Für das deutsche Unisystem heißt das: Bachelor-Studierende müssen neben ihrem verkürzten Fachstudium in Zukunft Seminare besuchen, die Schlüsselqualifikationen vermitteln. Ein neuer Arbeitsmarkt auch für Geistes- und Sozialwissenschaftler.

Denis Buss, Leiter des Beratungscenters der Einstieg GmbH in Köln, die beim Berufseinstieg berät, bestätigt den zunehmenden Bedarf der Wirtschaft an Absolventen, die auch über persönliche und soziale Kompetenzen verfügen. „Allerdings gibt es schon eine Menge erfahrener Trainer, Coachs und Firmen, die ihr Schlüsselqualifikationswissen auch im Rahmen des universitären Lehrplans weitergeben können – auch ohne zusätzliche Weiterbildung.“

„Was unsere Dozenten auszeichnet, ist, dass sie direkt auf den Job an der Uni vorbereitet werden“, erklärt Christine Marfels, Personalentwicklerin im Bereich Schlüsselqualifikationen. Sie hat die Fortbildung gemeinsam mit dem Projekt Robin des Arbeitsbereichs Wirtschafts- und Sozialpsychologie der FU Berlin entworfen. Neben Theorie und Praxis der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen haben die TeilnehmerInnen die Strukturen der Bachelor- und Master-Studiengänge an den Universitäten gepaukt. So sind sie auch als Berater beim Aufbau eines berufspraktischen Kurssystems einsetzbar.

Bedarf dafür ist da. In den nächsten Jahren werden viele weitere Studiengänge auf das Bachelor-Master-System umgestellt. Die Zahlen von etwa 7.500 Studienanfängern pro Wintersemester in Brandenburg und perspektivisch 18.400 in Berlin bedeuten, dass die Nachfrage nach Dozenten bald stark steigen wird. Denn in Berlin und Brandenburg müssen Bachelor-Studenten ein Sechstel ihrer Studienleistungen im Bereich Schlüsselqualifikationen erbringen. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus. Es gibt bereits Überlegungen, die Fortbildung auch in Sachsen anzubieten.

Arne Broy, 42, ist einer der 15 Teilnehmer, die die sieben Module der Fortbildung durchlaufen haben. Nicht immer waren die Aufgaben einfach. Einmal musste er im Hörsaal vor 200 Leuten den Aufbau einer Rede erklären. „Das war schon aufregend“, sagt der studierte Elektrotechniker, der lange als Projektentwickler in der Solarbranche unterwegs war. „Aber es hat funktioniert.“ Besonders schön fand er die Feedbackrunde, die es am Schluss seines Seminars gab. Denn natürlich werden die Teilnehmer der Weiterbildung gleich in die Praxis geschmissen: Broy hat einen Tag in der Woche an der Technischen Hochschule gelehrt.

Die ersten Absolventen der Fortbildung haben mittlerweile ein Dozentennetzwerk gegründet. Broy sitzt an der Schnittstelle zu den Career Centers der Hochschulen. Er koordiniert Einsätze als Trainer und Beratungsjobs an der Uni. Der nächste Durchlauf beginnt am 7. Mai. Eine weitere Runde wird es im Herbst geben. Voraussetzung für die Teilnahme: ein Studienabschluss, Kenntnis von Schlüsselqualifikationen, kommunikative Grundeinstellung, Dialog- und Konfliktfähigkeit sowie sicheres Auftreten und Überzeugungsfähigkeit.

Die Kosten für arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldete Teilnehmer übernimmt über den Bildungsträger atlop die Arbeitsagentur. Die Auswahl erfolgt über ein Assessment Center. „Am schönsten ist es, wenn die Teilnehmer bereits etwas Arbeitserfahrung mitbringen“, wünscht sich Christine Marfels. Denn natürlich müssen die Dozenten – ganz wichtig! – berufsbezogen sein.

Weitere Informationen unter www.abv-dozent.abfev.de