NEUES DENKEN
: Völlig hin und weg

Wer neu denken und dabei fortschreiten will, hatte es schon immer schwer. Bereits der österreichische Schriftsteller Robert Musil wusste: „Fortschritt wäre wunderbar, wenn er einmal aufhören würde.“ Dem US-amerikanischen Lyriker Ogden Nash ging es ähnlich: „Der Fortschritt mag ja gut und schön sein, aber er dauert zu lange.“

Insgesamt gilt für alle Bereiche das, was der deutsche Arzt und Politiker Rudolf Virchow für seine Branche feststellte: „Zwei Dinge pflegen den Fortschritt der Medizin aufzuhalten: Autoritäten und Systeme.“ Der österreichische Philosoph Paul Feyerabend kam deswegen zu der Überlegung: „Das einzige Prinzip, das den Fortschritt nicht hemmt, heißt: Mach, was du willst.“

Das führte den deutschen Philosophen Arnold Gehlen zu der Behauptung: „Fortschritt ist der Übergang von Situationen, deren Nachteile man schon kennt, zu Situationen, deren Nachteile man noch nicht kennt.“ Noch pessimistischer war nur der österreichische Kulturphilosoph Egon Fridell: „Der Fortschritt der Menschheit besteht in der Zunahme ihres problematischen Charakters.“

Franz Kafka klärte ein für alle Mal die Metaphysik der utopischen Idee: „An Fortschritt glauben heißt nicht glauben, daß ein Fortschritt schon geschehen ist. Das wäre kein Glauben.“ Dass es bei dieser Idee um alles und nichts geht, hatte bereits der römische Philosoph Seneca fast 2.000 Jahre früher formuliert: „Fortschritt besteht wesentlich darin, fortschreiten zu wollen.“

Von den berühmtesten Fortschrittskritikern des 20. Jahrhunderts Adorno/Horkheimer ließe sich viel Dialektisches zitieren. Doch ihre treffendste, dem Gedanken Senecas nahe Erkenntnis lautet: „Der Fortschritt – kaum hat man sich die Telefonnummern eingeprägt, werden sie umgestellt.“ Auch der US-Schriftsteller Truman Capote zweifelte nicht an der Schnelllebigkeit: „Heute ist die Utopie vom Vormittag die Wirklichkeit vom Nachmittag.“

Der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel meinte einst weise: „Man muss beim Fortschritt immer fragen: Wo willst du hin?“ Darauf weiß Friedrich Nietzsche eine Antwort. Von ihm kommt die konkrete Richtungsempfehlung: „Nicht fort sollt ihr euch entwickeln, sondern hinauf“!

DORIS AKRAP