NACHTSCHATTENGEWÄCHSE
: Blasser Rummel

Als das Riesenrad stehen bleibt, hören wir leise Hilferufe

„Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“, dröhnt es aus den Lautsprechern. Die Sonne scheint, es ist drei Uhr nachmittags. Ich sitze mit einem Freund und zwei Kindern vor der Elchhütte im Biergarten der Neuköllner Maientage in der Hasenheide und trinke Bier. Die Kinder essen Mais. Bis auf uns ist der Biergarten leer.

Ein DJ steht auf der Bühne und isst eine Bratwurst. Der Elchtreff und sein dazugehöriger Biergarten liegen im Schatten des sich sehr schnell drehenden Riesenrads, das um diese Uhrzeit auch nur zwei Passagiere an Bord hat. Zwei britische Touristinnen mit Sommersprossen und sehr, sehr weißer Haut.

Der DJ hat seine Bratwurst aufgegessen und dreht die Lautstärke höher: „Hurra, Hurra die Schule brennt“, schallt es jetzt durch die Lautsprecher, und wir singen mit. Die Kinder schauen uns erstaunt an. „Sie sind zu klein, um das zu verstehen“, sage ich. Der Freund, der bald Lehrer sein wird, nickt.

Auf dem Weg in den Biergarten sind wir an Losbuden, Schießständen, einer Geisterbahn und Fressbuden vorbeigekommen. Die Budenbesitzer waren alle sehr blass, ist uns aufgefallen. Und nicht nur der, der vor der Geisterbahn sitzt. Blass und sehr langsam. Sie schienen sich allesamt nicht sehr viel zu bewegen. Mussten sie ja auch nicht, weil kaum Kundschaft da war um diese Uhrzeit.

Als ob diese Wesen hier Nachtgeschöpfe wären, die erst in der Dunkelheit zu Leben erwachen. Noch aber ist heller Tag und ein sehr sonniger dazu. In der Geisterbahn soll es einen echten Menschen geben, der die Gäste erschreckt.

„Nachtschattengewächse, das alles“, murmelt der Freund, während sein Kind ein bisschen Mais auskotzt. „So was passiert“, sagt der Freund. Als das Riesenrad stehen bleibt, hören wir die leisen Hilferufe der zwei sommersprossigen Britinnen.

MAREIKE BARMEYER