Go, Birgit, go!

Beim Hamburg Marathon starteten am Sonntag 27.000 LäuferInnen. Wer die Strecke bei dem Volkslauf durchhalten will, muss leidensfähig sein. Oder Profi, wie die beiden Gewinner Rogers Rop (Kenia) und Ayelech Worku (Äthopien)

Monatelang hat sich Ines Kersten auf diesen Tag vorbereitet. Und je näher er rückte, desto straffer wurde ihr Trainingsplan: Zuletzt lief die 44-Jährige bis zu 80 Kilometer in der Woche.

Es ist acht Uhr dreißig. Eine halbe Stunde noch bis zum Start. Nicht eine Wolke ist am Himmel zu sehen, ein kühlender Wind zieht durch die Straßen. Hamburg meint es gut mit Läufern und Publikum. 27.000 TeilnehmerInnen zählen die Veranstalter. Und eine halbe Million Zuschauer.

Eine davon ist Ines Kersten, oder „F3829 Ines“ wie sie auf ihrem Teilnehmerschild heißt. Sie tritt heute ihren zwanzigsten Marathon an, und nicht nur deshalb ist dieser Lauf ein besonderer. Für Kersten ist er sowas wie ein Comeback – nach einem Jahr krankheitsbedingter Pause. Alles unter 3 Stunden und 40 Minuten würde sie glücklich machen, sagt sie. So glücklich, dass sie ihren Laufkollegen für jede Minute, die sie schneller ist, eine Kiste Sekt spendieren will.

Vor dem Start sammeln sich Läufer und Publikum rund um das Messegelände, die Straßen werden schnell zur Sammelumkleide: Jeans werden in Tüten gestopft und papierdünne, atmungsaktive Leibchen übergestreift. Hin und wieder weht einem süßlicher Vaseline-Duft in die Nase. Damit reiben sich einige Läufer Achseln und Schenkel ein, andere legen schwarze Hüftgurte mit Power-Riegeln und Power-Getränken an. Ihre Angehörigen haben Sekt im Rucksack. Und Schilder in der Hand. „Go, Birgit, go!“, liest man darauf. Oder „Hans! Lauf!“

Jubel ist wichtig, besonders im letzten Drittel der Strecke. Denn ab Kilometer 30 lauert „der Mann mit dem Hammer“. So nennen die Sportler den Moment, wenn die Muskeln übersäuern und ein stechender Schmerz in Arme und Beine fährt. Applaus kann hier Linderung verschaffen.

Ein bisschen Angst hat auch Ines Kersten vor diesem Teilstück. Deshalb hat sie einen Freund zum Streckenkilometer 37 beordert. Er hält Red Bull und Wasser bereit. Bei einem Volkslauf hat eben jeder eine Aufgabe: Die einen rennen, die anderen rufen.

Und dann gibt es noch eine dritte, sehr kleine Gruppe, die da ist um zu gewinnen. Die gertenschlanken Marathon-Profis starten zuerst an der Messe. Und als die letzten ins Rennen gehen, waren die Spitzenreiter schon einmal in Hamburg-Ottensen und fliegen gerade an den Landungsbrücken vorbei. Der Kenianer Rogers Rop rennt die 42,195 Kilometer in zwei Stunden und sieben Minuten – und als Erster ins Ziel. Eine Sekunde später folgt sein Landsmann Wilfried Kigen. Den Streckenrekord des Spaniers Julio Rey aus dem Vorjahr haben sie um eine knappe Minute verfehlt. Bei den Damen gewann die Äthiopierin Ayelech Worku in zwei Stunden und 29 Minuten.

„F3829 Ines“ hingegen hat einen Rekord gebrochen. Mit drei Stunden und 27 Minuten ist sie sechs Minuten schneller gewesen als je zuvor. Macht 13 Kisten Sekt. Und eine vor Freude weinende Kersten. „Ich war wieder dabei“, sagt sie. „Das ist so ein supergeiles Gefühl!“

Mathias Becker