Die Not am Rande Europas

DOKUMENTATION Ein Symposium und eine Filmreihe im Kino Arsenal widmet sich den Schicksalen von Flüchtlingen im Mittelmeerraum

Bei allen Unterschieden teilen die Frauen die Hoffnung auf eine andere Zukunft

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Auch wenn letzten Freitag nicht Tag des Flüchtlings gewesen wäre: Das Thema ist derzeit wohl in allen Köpfen. Zu gewaltig sind die aktuellen Flüchtlingsströme, zu dramatisch die Ursachen wie Kriege, Verfolgung, Hunger und der Klimawandel. An ihren Zufluchtsorten in Europa stoßen Flüchtlinge auf Hilfsbereitschaft, aber auch auf Ablehnung und Entwürdigung. Dieses Europa, das die Grenzen für Waren öffnet, verbarrikadiert sich vor Menschen in Not. Vor allem deswegen erreichen viele Flüchtlinge nie ihr Ziel und sterben unterwegs. Assoziierte man einst das Mittelmeer mit Fischerbooten und Lambrusco-Romantik, sind die Bilder heute düster: Allein dieses Jahr sind schon mehr als 2.500 Menschen auf der Flucht ertrunken.

So ist das Mittelmeer auch topografisches und thematisches Zentrum von fünf „Filmtagen über Flucht und Migration, die die Heinrich Böll Stiftung unter dem Titel „Re:fuge! Zu:flucht!“ im Arsenal präsentiert. Schon seit Jahren beschäftigen die globalen Wanderbewegungen und das Schicksal ihrer Akteure auch viele FilmemacherInnen, fiktional und dokumentarisch. Doch anders als die (wichtigen!) aktuellen Reportagen und Beiträge in den Medien können sich Dokumentarfilmer die Zeit nehmen, ihren Stoff auch über längere Zeit zu verfolgen und ihre ProtagonistInnen selbst ausführlich zu Wort kommen lassen. Im Fall des Kurzfilms „To Whom It May Concern“ ist dieser mit dem Filmemacher sogar identisch. Der einstige somalische Lampedusa-Flüchtling und Journalist Zakaria Mohamed Ali hat selbst dokumentiert, wie er nach Jahren mit einem kleinen Drehteam auf die Insel seines ersten Kontakts mit Europa zurückkehrt. Er will nicht nur eigene Erinnerungen verarbeiten, sondern ist auch auf der Suche nach materiellen Memorabilien und Dokumenten, die man einem Freund und Mitflüchtling damals abgenommen hatte. Doch die sind längst vernichtet. Der Film endet auf dem Friedhof, wo namenlose Ertrunkene und Bootswracks mit arabischen Namen liegen.

Eröffnet wird das Programm am Montag mit einem Vortrag des Migrationsforschers Mark Terkessides und einem Spielfilm des algerischen Regisseurs Merzad Allouache, der schon 1994 mit einem Film zum Islamismus von sich reden gemacht hatte. Wie „Bab El-Oued City“ damals startet auch „Harragas“ (2009) in einem algerischen Armenviertel, wo jegliche Hoffnung auf Veränderung längst gestorben ist. Also versuchen Nasser, Rachid und Irmene nach Europa zu kommen – als Harragas, wie man die Bootsflüchtlinge in Algerien nennt. Allouache inszeniert diese Flucht als Drama, das – samt gediegener Inszenierung, den etwas zu glatt gecasteten Hauptdarstellern und der sanft melancholischen Musik – den Regeln des internationalen Arthouse-Kinos folgt.

An einen anderen Schauplatz weiter östlich geht Carol Mansour mit ihrem Dokumentarfilm „Not Who We Are“. Derweil sind zwei Jahre vergangen, an Aktualität jedoch hat der Film leider noch gewonnen. Die kanadisch-libanesische Regisseurin porträtiert syrische Frauen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat an verschiedenen Orten des Libanons Zuflucht gefunden haben. Es sind Studentinnen, ehemalige Geschäftsfrauen und Bäuerinnen. Bei allen Unterschieden teilen die Frauen neben ihrer Offenheit und dem warmen Lächeln vor allem eines: die Hoffnung auf eine andere, bessere Zukunft.

Neben insgesamt sieben Filmen steht am Donnerstagabend unter dem Titel „Für eine humanere Flüchtlingspolitik in Europa“ eine von Tagesspiegel-Redaktuerin Andrea Dernbach moderierte Podiumsdiskussion auf dem Programm. Die Keynote hält Lampedusas streitbare Bürgermeisterin Giuseppina Maria Nicolini. Ob der angefragte Frontex-Einsatzleiter Klaus Rösler kommen wird, wird man sehen. Wichtig ist die Veranstaltung auf jeden Fall. Denn um mit Worten von Carol Mansour zu enden: „Das Wichtigste ist, dass Europa nicht abstumpft.“

■ Filmreihe „Re:fuge! Zu:flucht!“: 4.–9. 10., Kino Arsenal, 19/21 Uhr, www.arsenal-berlin.de ■ Podiumsdiskussion: 9. 10., 19 Uhr, Heinrich Böll Stiftung , Schumannstr. 8, www.boell.de