HAMBURGER SZENE VON EVA THÖNE
: „Staub in der Fresse“

Um viertel vor sieben geht Feueralarm los. Keiner steht auf

Der Mann am Rednerpult sieht aus wie ein ZDF-Moderator aus den 80-ern: schulterlanges Blondhaar, grellblaue Brille, wildgeblümtes Hemd mit passendem Einstecktuch. In einem Uni-Hörsaal spricht Martin Lejeune über die Situation im Gaza-Streifen. 130 Sitze, alle besetzt. Um viertel vor sieben geht Feueralarm los. „Bleiben Sie ruhig sitzen“, sagt Lejeune in das Heulen hinein. „Wir dürfen uns nicht von unseren Plänen abbringen lassen.“ Keiner steht auf. „Es brennt sowieso nicht“, sagt eine im Publikum uns wendet sich wieder ihrem Smartphone zu.

Vor der Veranstaltung hatten verschiedene Organisationen gefordert, den Vortrag abzusagen. Lejeune war während der letzten Angriffsphase im Sommer als freier Journalist in Gaza-Stadt, schrieb auch für die taz. Dann bezeichnete er in seinem Blog 18 Gaza-Einwohner, die mit Israel kooperiert hatten, als „Kollaborateure“. Seine Berichterstattung war so einseitig, dass sie zu einer Befürwortung ihrer Hinrichtung wurde. Als „Hamas-Versteher“ beschrieb ihn Petra Sorge für das politische Magazin Cicero.

Als Lejeune mit 15 Minuten Verspätung beginnt, zeigt er Bilder von Blutlachen auf dem Boden, das Foto eines Mannes mit Plastiktüte. „Da ist das Gehirn seiner Tochter drin“, sagt Lejeune. Von „Kollaborateuren“ spricht er auch heute Abend: „Die Hinrichtungen waren grausam, keine Frage. Aber die Kollaborateure sind wichtiger Bestandteil, um die Angriffe vorzubereiten.“

Bei Fakten verstolpert sich Lejeune häufig; wieviele Einwohner hatte noch mal Israel? Sein Blick wandert fragend zu Nader El Sakka, dem Vorsitzenden der Palästinensischen Gemeinde, die die Veranstaltung mitorganisiert hat.

Eine Rentnerin ist aus Interesse gekommen, jetzt geht sie früher, will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. „Lejeune ist naiv“, sagt sie. „Ihm fehlt der Kontext für einen differenzierten Blick.“ Sie selbst beschäftige sich seit Jahrzehnten mit dem Nahost-Konflikt. Warum sie den Redner nicht unterbrochen hat? „Ich weiß auch nicht.“

Nachher steht Lejeune vor dem Gebäude. Er will Mitte Oktober zurück in den Gazastreifen. „Viele haben an meiner Unabhängigkeit gezweifelt, aber ich war da: Ich habe die Angriffe miterlebt, ich hatte Staub in der Fresse.“ Der Hausmeister will abschließen, aber viele von denen, die bis zum Ende geblieben sind, wollen noch ein Erinnerungsfoto. Lejeune lächelt für jeden, der will.