Putins Provokation lässt Nato ziemlich kalt

Moskau will den Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa zur Disposition stellen, wenn die USA ihre Pläne zur Raketenabwehr nicht begraben. Putin erneuert Kritik an Vorhaben. Berlin gibt sich gelassen und setzt weiter auf Dialog

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Im Streit über den geplante US-Raketenschild und die Drohungen Russlands, den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) auszusetzen, setzt Berlin auf Gelassenheit. „Drohungen helfen nicht weiter“, erklärte gestern Regierungssprecher Thomas Steg die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Dialog mit Moskau solle in einem Klima des Vertrauens fortgesetzt werden. Mitte Mai wollen sich Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin zu EU-Russland-Konsultationen treffen.

Am Donnerstagabend hatte der russische Außenminister Sergei Lawrow beim Treffen der Nato-Außenminister eine Rede gehalten, die den Beteiligten Rätsel aufgab. Nach dem Treffen erklärte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, Russland habe den KSE-Abrüstungsvertrag einseitig auf Eis gelegt. Die Nato forderte daraufhin eine Klarstellung. Doch Putin erneuerte gestern nach einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Václav Klaus seine Kritik: „Die Gefahr, sich gegenseitig Schaden zuzufügen oder sich sogar zu zerstören, steigt“, so Putin. Der Schild werde russisches Territorium bis zum Ural kontrollieren, falls Russland keine Gegenmaßnahmen ergreife, „und wir werden das tun“. Der russische Generalstabschef Juri Balujewski wird der Nato am 10. Mai die russische Position zum KSE-Vertrag erläutern. Er werde während des Russland-Nato-Rats in Brüssel die Haltung von Präsident Putin vortragen, sagte Balujewski laut Interfax. Nach seinen Angaben wird das Treffen den Beginn neuer Verhandlungen über den Vertrag erlauben.

Unter europäischen Politikern wurde das Thema „Raketenabwehrschild“ bisher herumgereicht wie eine heiße Kartoffel. Während die Europäer sonst gern ihre außenpolitische Eigenständigkeit betonen und sich ein eigenes Profil unabhängig von der Mitgliedschaft im transatlantischen Bündnis zulegen möchten, fühlen sie sich bei diesem Thema plötzlich nicht zuständig. Keinesfalls wollen sie, wie beim Irakkrieg, eine außenpolitische Spaltung der EU in ein „altes“ und ein „neues“ Europa zulassen. Auch soll weder der Bündnispartner USA noch der wichtige Energielieferant Russland vergrätzt werden. Beim EU-USA-Gipfel am Montag in Washington werde das Thema Raketenabwehr wohl nicht zur Sprache kommen, weil die Themenliste schon so lang sei, hieß es gestern aus Berlin. „Das gehört eigentlich zum Nato-Treffen nach Oslo“, so ein Diplomat.

Europäische Diplomaten hoffen weiter auf eine Lösung, die den Konflikt entschärft und es Russland ermöglicht, das Gesicht zu wahren. In Brüssel wird darauf hingewiesen, dass es dem europäischen Einfluss zu danken sei, dass US-Verteidigungsminister Robert Gates am Montag nach Moskau gereist sei, um die russischen Bedenken auszuräumen. US-Außenministerin Condoleeza Rice hatte angeboten, russische Inspektoren könnten die Anlage untersuchen und sich davon überzeugen, dass sie nicht gegen Russland gerichtet sei.